Stellungnahme des Familienbundes der Katholiken zum Abstammungsrecht

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zum Diskussionsteilentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Abstammungsrechts“ (vom 12. März 2019) 

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  • Hintergrund des Diskussionsteilentwurfs

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat einen Gesetzentwurf zur Reform des Abstammungsrechts vorgelegt. Der „Diskussionsteilentwurf“ greift auf die Ergebnisse des Arbeitskreises Abstammungsrecht zurück, der nach zweijähriger Arbeit im Juli 2017 seine Ergebnisse vorgelegt hat. Der Arbeitskreis konnte sich auf eine bereits länger andauernde juristische Diskussion stützen, u.a. auf ein umfassendes rechtswissenschaftliches Gutachten zum 71. Deutschen Juristentag. Im Koalitionsvertrag vom März 2018 wurde vereinbart: „Im Hinblick auf die zunehmenden Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin und Veränderungen in der Gesellschaft werden wir Anpassungen des Abstammungsrechts unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Arbeitskreises Abstammungsrecht prüfen.“

 

  • Grundsätzliche und zusammenfassende Überlegungen des Familienbundes

Der Familienbund der Katholiken begrüßt, dass die Bundesregierung den Diskussionen zur Reform des Abstammungsrecht mehr Zeit einräumt, als es bei vielen anderen politischen Vorhaben üblich geworden ist. Eine solche Reform wirft nicht nur schwierige rechtliche und rechtspolitische Fragestellungen auf; sie berührt zudem kulturelle Anschauungen, Traditionen und gesellschaftliche Leitbilder. Die Antwort auf die Fragen „Wer ist Mutter?“ und „Wer ist Vater?“ ist vom Gesetzgeber nicht beliebig gestaltbar. Es gibt aber Spielräume, z.B. was die der Zuordnung zugrundeliegenden Prinzipien, die Anwendung von Vermutungsregelungen oder die Gewichtung der biologischen und sozialen Elternschaft angeht.

Ausdrücklich ausgeklammert waren in der bisherigen, überwiegend juristischen Diskussion Fragen der rechtlichen Zulässigkeit und ethisch-moralischen Bewertung der verschiedenen und sich rasant erweiternden Methoden der modernen Reproduktionsmedizin. Das ist einerseits nachvollziehbar, da das Abstammungsrecht auch dann im Sinne des Kindeswohles bestmögliche Lösungen finden muss, wenn von verbotenen oder ethisch zweifelhaften Reproduktionsmethoden – z.B. im Ausland – Gebrauch gemacht wird. Andererseits darf nicht verkannt werden, dass ein Recht, das den Grundsatz der Eltern-Kind-Zuordnung nach der biologischen Herkunft einschränkt und den Wunsch zur Elternschaft als gleichberechtigtes Zuordnungsprinzip anerkennt, einen Systemwechsel hin zu einer grundsätzlichen Offenheit gegenüber der modernen Fortpflanzungsmedizin vornimmt, der Risiken birgt. Auf der Grundlage eines solchen Systemwechsels erscheinen – über das im Entwurf Vorgeschlagene hinaus – weitere abstammungsrechtliche Reformen zur Anerkennung fortpflanzungsmedizinischer Maßnahmen als naheliegend. Der Familienbund sieht hier Gefahren für das Wohl von Kindern und Müttern. Er schließt sich der Vorsitzenden des Arbeitskreises Abstammungsrecht an, die in ihren persönlichen Leitlinien formuliert hat: „Recht hat […} nicht nur bloße Ordnungsfunktion, sondern muss auch Grenzen setzen, die von den in unserem Rechts- und Kulturkreis gewachsenen allgemeinen Grundsätzen von Ethik und Moral bestimmt werden. Hier gilt: Ein Kind ist keine Bestellware und auch kein Therapeutikum für schicksalhaft bedingte Lebensdefizite. […] Leitgedanke muss dabei die Wahrung der Würde menschlichen Lebens und der Schutz der schwächeren Mitglieder der Gemeinschaft sein.“ Das spricht dafür, bei einer Reform des Abstammungsrechts behutsam vorzugehen. Änderungen sollten nur aufgrund einer konkret feststellbaren Problematik und nur im erforderlichen Maße vorgenommen werden.

Der Familienbund der Katholiken hält es für richtig, am Abstammungsprinzip festzuhalten, also am geltenden Grundprinzip, dass dem Kind die biologischen Eltern auch als rechtliche Eltern zugeordnet werden. Der Familienbund verweist darauf, dass der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehalten ist, „die Zuweisung der rechtlichen Elternposition an der Abstammung des Kindes auszurichten“. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG enthält das „Gebot, möglichst eine Übereinstimmung von leiblicher und rechtlicher Elternschaft zu erreichen“. Denn Eltern sind im Sinne des Grundgesetzes zunächst diejenigen Menschen, die einem Kind das Leben gegeben haben, da sie „von Natur aus grundsätzlich bereit und berufen sind, die Verantwortung für seine Pflege und Erziehung zu übernehmen“ (BVerfG). Von diesem Grundsatz können – wie das auch jetzt bereits der Fall ist – klar begrenzte Ausnahmen zugelassen werden, die aber den Grundsatz als solchen und dessen Richtigkeit nicht in Frage stellen. Dass sich der „Diskussionsteilentwurf“ eine „moderate Fortentwicklung des geltenden Rechts unter Beibehaltung bewährter Elemente“ vorgenommen hat, ist daher richtig und wird vom Familienbund in seiner Zielrichtung unterstützt. Zweifelhaft ist, ob der Entwurf diesem Ziel entspricht.

Kritisch bewertet der Familienbund, dass der Entwurf bei der zweiten Elternstelle (Vaterschaft und – neu – Mit-Mutterschaft) weitreichende Änderungen vorsieht, die gegenüber dem bisherigen System eine „markante Akzentverschiebung und eine deutliche Einschränkung des Abstammungsprinzips“ darstellen. Dass erstmals „intendierte Eltern“ (Wunscheltern bzw. Bestelleltern) rechtssystematisch auf die gleiche Ebene wie biologische Eltern gestellt werden, ist ein abstammungsrechtlicher Paradigmenwechsel. Der Arbeitskreis Abstammungsrecht hatte daher auch vorgeschlagen, statt von „Abstammung“ zukünftig von „rechtlicher Eltern-Kind-Zuordnung“ zu sprechen. Der Vorschlag wird im vorliegenden Entwurf nicht übernommen, würde aber den Reforminhalt transparent zum Ausdruck bringen. Dem Familienbund erscheinen die vorgeschlagenen Änderungen in diesem Umfang nicht geboten.

Der Familienbund schlägt eine auf Fälle der ärztlich unterstützen Samenspende beschränkte Reform vor. In diesen Fällen sollte zum einen eine präkonzeptionelle (d.h. vor der künstlichen Befruchtung erfolgende) Anerkennung der Vaterschaft ermöglicht werden. Zum anderen sollten bei gleichgeschlechtlichen Frauenpaaren, die eine ärztlich unterstützte Samenspende in Anspruch nehmen, die Zuordnungsregelungen der Vaterschaft (Zuordnung durch Ehe oder – ggf. präkonzeptionelle – Anerkennung) übernommen werden, da hier die Sachlage bei verschieden- und gleichgeschlechtlichen Paaren identisch ist. Mit dieser Lösung bliebe man – abgesehen von der klar definierten Ausnahme der ärztlich unterstützten Samenspende – im Rahmen des bestehenden abstammungsrechtlichen Systems.

Der „Diskussionsteilentwurf“ ist insoweit zu begrüßen, als er sehr weit gehenden Reformvorschlägen einer rechtlichen Elternschaft von mehr als zwei Personen (sog. Mehrelternschaft) eine Absage erteilt. Der Familienbund vertritt wie die Entwurfsbegründung die Auffassung, dass „die Probleme, die sich aus der Zuweisung des vollen Elternstatus an mehr als zwei Personen […] ergeben können, insbesondere im Konfliktfall [noch] erheblich verkompliziert würden“. Auch der Arbeitskreis Abstammungsrecht hat sich überzeugend gegen die rechtliche Elternschaft von mehr als zwei Eltern ausgesprochen und auf eine sonst drohende weitere Verkomplizierung im Sorge-, Namens-, Unterhalts-, Erb- und Staatsangehörigkeitsrecht hingewiesen. Zudem wäre es unangemessen, Kinder abhängig von den Umständen ihrer Zeugung in rechtlicher Hinsicht unterschiedlich zu behandeln, in dem die einen zwei und die anderen mehr als zwei rechtliche Eltern hätten (was je nach Fallkonstellation vorteilhaft oder nachteilig sein kann). Positiv hervorzuheben ist auch, dass der „Diskussionsentwurf“ keine gesetzliche Regelung der Leihmutterschaft enthält und weiterhin an der eindeutigen Definition der Mutterschaft festhält: „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat“ (§ 1591 BGB).

 

  • Regelungen im Einzelnen
    1. Intendierte Elternschaft (§ 1598c BGB-E)
      • Konzept des Diskussionsteilentwurfs

Das Bestehen einer sog. intendierten Elternschaft tritt als alternatives Prinzip der Eltern-Kind-Zuordnung neben die biologische Abstammung: In Fällen der ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung soll auch diejenige Person als Vater oder Mit-Mutter (§ 1592 Abs. 2 BGB-E) gerichtlich festgestellt werden können, die in Übereinstimmung mit der Geburtsmutter in die künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten eingewilligt hat (vgl. §§ 1598c Abs. 1 und 2, 1600 Abs. 1 Nr. 3 BGB-E). Eine Feststellung des Samenspenders als rechtlicher Vater soll in diesen Fällen ausgeschlossen sein (§ 1598c Abs. 1 BGB-E). Diese intendierte Vater- bzw. Mit-Mutterschaft aufgrund Einwilligung in eine künstliche Befruchtung soll rechtssystematisch in jeder Hinsicht einer biologischen Vaterschaft gleichgestellt werden. Der Entwurf formuliert, dass „die Einwilligungen der intendierten Eltern […] dabei, was die daraus abgeleiteten Rechtsfolgen betrifft, an die Stelle des Zeugungsaktes treten“ sollen. Als Konsequenz bestehen – wie beim biologischen Vater – Anfechtungs-, Umgangs- und Auskunftsrechte des intendierten Vaters bzw. der intendierten Mit-Mutter, falls das Recht einer anderen Person die Elternschaft zuordnet (z.B. aufgrund einer Ehe der Geburtsmutter oder einer mit deren Zustimmung erfolgten Anerkennung der Elternschaft).

 

Der Familienbund hält es mit Blick auf das Kindeswohl für richtig, wenn die Person, die gemeinsam mit der Mutter in die ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung einwilligt, im Ergebnis zweiter Elternteil wird. Denn der Samenspender bringt durch die Abgabe des Samens bei der Samenbank zum Ausdruck, dass er gegenüber den gezeugten Kindern keine Elternverantwortung übernehmen möchte. Problematisch erscheint dem Familienbund der vom Diskussionsteilentwurf gewählte Weg, die intendierte Elternschaft als „quasi-biologische“ Elternschaft zu konstruieren. Den Familienbund überzeugt es nicht, die gemeinsame Einwilligung eines Paares in die Vornahme einer künstlichen Befruchtung mit einer natürlichen Zeugung gleichzusetzen. Denn die Unterschiede überwiegen die Parallelen. Letztere werden überstrapaziert, wenn der Arbeitskreis Abstammungsrecht formuliert, man könne „an die Diktion des Bundesverfassungsgerichts anknüpfend insoweit auch davon sprechen, dass neben dem genetischen Vater im übertragenen Sinne auch der intendierte Vater dem Kind ‚das Leben gegeben‘ hat“. Der intendierte Vater gibt dem Kind nicht das Leben. Im Rahmen der künstlichen Befruchtung ist seine Mitwirkung nicht erforderlich. Im Kern handelt es sich bei einem intendierten Elternteil um eine Person, die Elternverantwortung für ein nicht-leibliches Kind übernehmen möchte, dessen genetischer Vater im Hinblick auf die Übernahme der Elternverantwortung ausfällt. Das ist anzuerkennen und verdient Schutz – aber nicht analog zur biologischen Elternschaft, da es sich um eine andere Kategorie der Elternschaft handelt.

Gerade in Fällen, in denen sich die Mutter nach der natürlichen Zeugung bzw. künstlichen Befruchtung einer anderen Person zuwendet, die als Ehegatte oder durch Anerkennung zweiter rechtlicher Elternteil wird, drohen bei einer Gleichbehandlung von biologischer und intendierter Elternschaft wertungsmäßige Unstimmigkeiten. Im Rahmen einer Anfechtung der Elternschaft (§ 1600 BGB) müssen dann die Rechte des biologischen bzw. intendierten Elternteils gegen den Schutz der sozial-familiären Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater abgewogen werden. In dieser Situation besteht im deutschen Recht traditionell im Sinne des Kindeswohls ein starker – auch verfassungsrechtlicher – Schutz der sozialen Familie, in der das Kind nach dem Willen der Mutter und des rechtlichen Vaters groß werden soll (vgl. §§ 1600 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB, 1600b Abs. 1 Satz 1 BGB). In der Abwägung mit diesen gewichtigen Interessen kommt dem biologischen Elternteil, der in der Anfechtungssituation neben der genetischen Abstammung auch den Willen zur Elternschaft in die Waagschale werfen kann, ein stärkeres Gewicht zu, als dem intendierten Elternteil, der sich im Wesentlichen nur auf den wiederholt zum Ausdruck gebrachten Willen zur Elternschaft stützen kann. Dass die Anfechtung – wie vom Diskussionsteilentwurf in § 1600a Abs. 2 S. 1 a.E. BGB-E vorgeschlagen – in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes ohne Rücksicht auf eine etwaige sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater möglich und damit generell erfolgreich sein soll, ist bei der Anfechtung durch den biologischen Vater kritisch zu sehen, bei derjenigen durch den intendierten Elternteil jedoch kaum vertretbar. Der Diskussionsteilentwurf behandelt aber hier (wie im gesamten Entwurf) biologische und intendierte Eltern gleich. Fraglich ist das insbesondere auch bei den Umgangs- und Auskunftsrechten des leiblichen, aber weder rechtlichen, noch sozialen (d.h. tatsächlich Verantwortung tragenden) Vaters (vgl. § 1686a Abs. 1 BGB), die nach dem Diskussionsteilentwurf auch dem intendierten Elternteil eingeräumt werden sollen (vgl. § 1686a Abs. 1 S. 2 BGB-E). Beim biologischen Vater, für den die Regelung des § 1686a BGB mit Blick auf die Bedeutung der genetischen Vaterschaft und in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) geschaffen wurde, erscheint die Einräumung solcher Rechte aber naheliegender als bei einer Person, deren einzige Verbindung zum Kind ist, dass sie in die Vornahme einer künstlichen Befruchtung bei der Mutter eingewilligt hat.

Zwischen biologischer und intendierter Elternschaft bestehen tatsächliche und rechtliche Unterschiede, die eine Gleichbehandlung unangemessen erscheinen lassen. Während die biologische Verwandtschaft das Kind sein ganzes Leben lang prägt (der EGMR spricht von einer „unveränderlichen“ natürlichen Bindung zwischen dem Kind und seinem biologischen Vater), handelt es sich bei der Einwilligung des intendierten Elternteils in die künstliche Befruchtung um den zu einem bestimmten Zeitpunkt geäußerten und prinzipiell wandelbaren Willen, Elternverantwortung zu übernehmen. Auch verfassungsrechtlich bestehen große Unterschiede zwischen der biologischen und der intendierten Elternschaft. Anders als der intendierte Vater steht der biologische Vater auch dann, wenn er nicht rechtlicher Vater ist, unter dem Schutz des Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Grundgesetz betont das, indem es davon spricht, dass Pflege und Erziehung der Kinder das „natürliche“ Recht der Eltern seien. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG schützt den biologischen Vater in seinem Interesse, die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen. Auch das Kind hat bei der biologischen Vaterschaft besondere verfassungsrechtlich geschützte Rechte: Es hat ein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und zum anderen ein geschütztes Interesse, „seinen leiblichen Vater nicht nur zu kennen, sondern ihn auch als Vater rechtlich zugeordnet zu erhalten“. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) misst der genetischen Abstammung in seiner Rechtsprechung erhebliche Bedeutung bei. Im Hinblick auf eine Person, die neben der Mutter in die künstliche Befruchtung eingewilligt hat, bestehen diese Rechtspositionen nicht. Die hinter diesen Rechten stehende Argumentation des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lässt sich auch nicht auf die intendierte Elternschaft übertragen, da die Gerichte spezifisch mit der biologischen Abstammung argumentieren.

Die Gleichbehandlung von biologischer und intendierter Elternschaft nimmt dem Kind auch sein bisher in Fällen der Samenspende bestehendes Anfechtungsrecht. Dass nach dem Diskussionsteilentwurf kein Anfechtungsrecht des Kindes bestehen soll, ist konsequent, wenn man der (hier bestrittenen) Prämisse folgt, dass bei der ärztlich unterstützten Samenspende die Einwilligungen der intendierten Eltern an die Stelle des Zeugungsaktes treten sollen. Nach geltender Rechtslage kann ein Kind die Vaterschaft eines mit ihm nicht biologisch verwandten Vaters anfechten (§ 1600 Abs. 1 Nr. 4 BGB), wobei die zweijährige Anfechtungsfrist mit dem Eintritt der Volljährigkeit beginnt (§ 1600b Abs. 3 BGB). Der Familienbund hält es für richtig, dem Kind, dass die Umstände seiner Entstehung nicht zu verantworten hat, dieses Recht zu erhalten. Er folgt hier der Vorsitzenden des Arbeitskreises Abstammungsrecht: „Dem Kind, das durch einen willkürlichen, vom natürlichen Vorgang abweichenden Akt in dieses Eltern-Kind-Verhältnis gestellt wurde, [muss] ein uneingeschränktes Anfechtungsrecht zugebilligt werden, wenn es seine Individualität und Selbstwahrnehmung in der wahren Abstammung von seinem genetischen Erzeuger finden will.“ Auch die Mehrheit des Arbeitskreises Abstammungsrecht hat sich grundsätzlich für ein Anfechtungsrecht des Kindes ausgesprochen. Ein Anfechtungsrecht des Kindes hält auch der Verein Spenderkinder für wichtig, der die Sicht von durch Samenspende gezeugten Kindern in die politische Debatte einbringt. Es ist zudem kaum begründbar, dass sich ein Kind in Fällen der ärztlich unterstützten Samenspende nicht mehr von einem nicht mit ihm biologisch verwandten rechtlichen Elternteil lösen können soll, während dies in anderen Konstellationen weiterhin möglich sein soll.

Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die Gleichsetzung von biologischer und intendierter Elternschaft nicht der richtige Weg ist, um dem/der Partner/in der Geburtsmutter in Fällen der ärztlich unterstützen Samenspende die rechtliche Elternschaft zu ermöglichen.

 

  • Lösung des Familienbundes

Um eine Elternschaft derjenigen Person zu ermöglichen, die gemeinsam mit der Mutter in die ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung einwilligt, schlägt der Familienbund folgende, jeweils auf Fälle der ärztlich unterstützten Samenspende beschränkte Gesetzesänderungen vor: Zum einen sollte eine präkonzeptionelle (d.h. vor der künstlichen Befruchtung erfolgende) Anerkennung der Vaterschaft ermöglicht werden (nach wohl herrschender Meinung ist die Anerkennung der Vaterschaft derzeit erst nach Zeugung möglich). Dadurch wäre das Problem gelöst, dass ein intendierter Elternteil nach erfolgreicher Befruchtung entgegen seinem vorher gegebenen Versprechen keine Anerkennung abgibt, weil er seinen Willen geändert hat oder inzwischen verstorben ist. Zum anderen sollte für gleichgeschlechtliche Frauenpaare, die eine ärztlich unterstützte Samenspende in Anspruch nehmen, eine Mit-Mutterschaft analog zur Vaterschaft eingeführt werden: Mit-Mutter wäre in diesen Fällen die Frau, die zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder die Mutterschaft anerkannt hat. Dies entspräche der derzeitigen Rechtslage bei verschiedengeschlechtlichen Paaren, die eine Samenspende vornehmen (vgl. § 1592 Nr. 1 und 2 BGB; § 1592 Nr. 3 BGB kommt in Samenspendefällen nicht in Betracht). Die Gleichbehandlung wäre sachgerecht, da in diesen Fallkonstellationen die Situation von lesbischen und verschiedengeschlechtlichen Paaren identisch ist: Wenn ein verschiedengeschlechtliches Ehepaar eine Samenspende in Anspruch nimmt, wird der Ehemann der Mutter als Vater zugeordnet, obwohl in diesem Fall ausgeschlossen ist, dass er mit dem Kind genetisch verwandt ist. Die Eltern-Kind-Zuordnung durch Ehe oder (präkonzeptionelle) Anerkennung wäre für den Vater, die Mutter und eine mögliche Mit-Mutter unanfechtbar (so für Vater und Mutter bereits jetzt in § 1600 Abs. 4 BGB geregelt). Auch der Samenspender könnte nicht anfechten, da seine Mitwirkung an der ärztlich unterstützen Samenspende als konkludenter Verzicht auf das Anfechtungsrecht zu bewerten wäre. Die Feststellung des Samenspenders als Vater ist gem. § 1600d Abs. 4 BGB ausgeschlossen. Dem Kind bliebe sein Recht erhalten, die Vaterschaft nach Eintritt der Volljährigkeit im Rahmen einer zweijährigen Frist anzufechten. Das hält der Familienbund für sachgerecht (s.o.).

 

  1. Mit-Mutterschaft (§ 1592 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB-E)

In gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zwischen zwei Frauen sollen nach dem Diskussionsteilentwurf generell die Zuordnungsregeln der Vaterschaft (§ 1592 Nr. 1 bis 3 BGB) übernommen werden, so dass (als zweiter Elternteil) Mit-Mutter werden soll, wer zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet (oder verpartnert) ist, die Mit-Mutterschaft anerkannt hat oder deren (intendierte) Mit-Mutterschaft gerichtlich festgestellt ist (vgl. § 1592 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB-E, § 21 LPartG). Während die geltende Regelung der Vaterschaft Ausdruck des Abstammungsprinzips ist (der Gesetzgeber knüpft an die Ehe bzw. die Vaterschaftsanerkennung an, weil er vermutet, dass der Ehemann bzw. Anerkennende der biologische Vater ist), führt die geplante Neu-Regelung der Mit-Mutterschaft dazu, dass im Rahmen der Primärzuordnung (d.h. der Zuordnung vor einer ggf. möglichen Anfechtung) stets eine Person als Elternteil zugeordnet wird, bei der die biologische Abstammung ausgeschlossen ist. Das bedeutet zugleich, dass stets ein biologischer Vater übergangen und auf die Sekundärzuordnung (d.h. die grundsätzliche Möglichkeit der Anfechtung, deren Erfolg im Einzelfall ungewiss ist) verwiesen wird. Das ist mit dem zu bewahrenden Abstammungsprinzip nicht vereinbar und erscheint als generelle Regelung nicht sachgerecht. Das Verfassungsrecht fordert eine solche Regelung nicht.

Begrenzt auf die Fälle der ärztlich unterstützten Samenspende sollte aber eine Regelung der Mit-Mutterschaft geschaffen werden, die die ersten beiden Zuordnungsregeln der Vaterschaft (Zuordnung durch Ehe oder Anerkennung) übernimmt (s.o.). Eine solche Regelung wäre eine auf eine Sonderkonstellation beschränkte und aus Gleichbehandlungsgründen eingeführte Ausnahme vom Abstammungsprinzip, das insgesamt erhalten bliebe.

 

  1. Stärkung der Rechte des biologischen Vaters (§ 1600a Abs. 2 BGB-E)

Nach geltendem Recht ist die Anfechtung des biologischen Vaters nur erfolgreich, wenn zwischen dem Kind und seinem Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht (§ 1600 Abs. 2 BGB). Der Diskussionsteilentwurf will die Rechte des biologischen Vaters insgesamt stärken (was – insoweit nicht überzeugend (s.o.) – auch für intendierte Eltern gelten soll). Zwar soll die Anfechtungsfrist von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt werden (§ 1600e Abs. 1 S. 1 BGB-E). Dafür soll die sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater die Anfechtung nicht mehr in jedem Fall ausschließen: In den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes soll die Anfechtung des leiblichen Vaters generell (d.h. ohne Rücksicht auf eine etwaige sozial-familiäre Beziehung) erfolgreich sein (§ 1600a Abs. 1 S. 1 letzter Halbsatz BGB-E). Ansonsten soll die sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater gegen diejenige zwischen dem Kind und dem biologischen Vater abgewogen werden. Die Anfechtung des biologischen Vaters soll erfolgreich sein, wenn seine Beziehung zum Kind für das Kind wichtiger ist (§ 1600a Abs. 2 S. 2 BGB-E)

Der Familienbund der Katholiken hält es für eine vernünftige Regelung, dass eine Abwägung mehrerer sozial-familiärer Beziehungen möglich sein soll. Falls die Beziehung des Kindes zum biologischen Vater wichtiger ist, entspricht eine Anfechtung der Vaterschaft dem Kindeswohl. Eine solche Abwägung ermöglicht besser als das bestehende Recht Einzelfallgerechtigkeit. In der Rechtsprechung gab es Fälle, in denen der biologische Vater bereits mehrere Jahre mit dem Kind und der Mutter in einer Familie zusammengelebt, aber versäumt hatte, durch Anerkennung oder gerichtliche Feststellung auch rechtlicher Vater zu werden. Der neue Partner der Mutter kam ihm dann mit der Vaterschaftsanerkennung zuvor. In diesen Fällen einer bestehenden, bereits länger andauernden sozial-familiären Beziehung zwischen dem Kind und dem biologischen Vater erscheint es unbillig, generell der sozial-familiären Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater den Vorzug geben.

Da eine Abwägung Einzelfallgerechtigkeit und eine Berücksichtigung des Kindeswohls ermöglicht, lehnt der Familienbund es aber ab, den biologischen Vater in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes generell dem rechtlichen Vater vorzuziehen. Zudem sollte die Anfechtungsfrist nicht verkürzt werden. Dem Anfechtungsberechtigten sollte bei dieser wichtigen Entscheidung ausreichend Zeit gegeben werden, um die Situation für sich und mit den anderen beteiligten Personen zu klären. Da es sich nicht nur um eine Überlegungsfrist handelt, erscheinen die im geltenden Recht vorgesehenen zwei Jahre angemessen. Bei einer solchen – gerade auch für das Kind folgenreichen – Entscheidung geht Richtigkeit vor Schnelligkeit.

 

Berlin,  28. Mai 2019

Familienbund der Katholiken

Ansprechpartner: Sachausschuss Recht des Familienbundes der Katholiken

 

BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht - Empfehlungen für eine Reform des Abstammungsrechts, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/07042017_AK_Abstimmung_Abschlussbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=4.

Helms, Rechtliche, biologische und soziale Elternschaft – Herausforderungen durch neue Familienformen, Gutachten zum 71. Deutschen Juristentag (Essen 2016).

Koalitionsvertrag (März 2018), S. 132, Z. 6234 ff.

Vgl. Helms, a.a.O., S. 8.

So auch Helms, a.a.O., S. 9 m.w.N.

Jestaedt, in: BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 118.

BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 17; Helms, a.a.O., S. 8.

So auch die Rspr, vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2014, Az. XII ZB 463/13, Rn. 54.

Hahne, in: Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 107.

So auch Jox, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 18. März 2019, S. 6.

BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 09. April 2003 - 1 BvR 1493/96 - Rn. 56. https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/rs20030409_1bvr149396.html.

BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 09. April 2003 - 1 BvR 1493/96 - Rn. 68.

Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 20.

Vgl. u.a. § 1600 Abs. 4 BGB.

BMJV, Diskussionsteilentwurf Abstammungsrecht (12.03.2019), S. 1.

Vgl. Helms, Rechtliche, biologische und soziale Elternschaft – Herausforderungen durch neue Familienformen, Gutachten zum 71. Deutschen Juristentag (Essen 2016), S. 38.

Zur Begrifflichkeit vgl. Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 22, 104.

BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 14.

Der geplante § 1594 Abs. 4 a.E. BGB-E schließt hingegen eine präkonzeptionelle Anerkennung explizit aus.

Die Feststellung als genetischer Elternteil (§ 1592 Nr. 3 BGB) scheidet in Fällen der ärztlich unterstützten Samenspende sowohl bei verschieden- als auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren aus.

Eine rechtliche Mehrelternschaft fordern (in jeweils unterschiedlicher Ausgestaltung) die FDP (vgl. https://www.fdp.de/justiz-und-rechtspolitik_modernisierung-des-familienrechts-greift-zu-kurz), Bündnis 90/Die Grünen („Rechtsinstitut der elterlichen Mitverantwortung“, Wahlprogramm 2017, S. 214) und die LINKE (Wahlprogramm 2017, S. 70).

BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 75 f.

BMJV, Diskussionsteilentwurf Abstammungsrecht (12.03.2019), S. 3.

So auch BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 58.

BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 57.

Vgl. auch BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 09. April 2003 - 1 BvR 1493/96, http://www.bverfg.de/e/rs20030409_1bvr149396.html.

Der Familienbund befürwortet, dass bei einer Anfechtung des biologischen Vaters generell zwischen den im Einzelfall bestehenden sozial-familiären Beziehungen abgewogen wird, vgl. in dieser Stellungnahme unter III. 3.

EGMR, Urteile vom 15.09.2011, Az.: 17080/07, und vom 21.12.2010, Az.: 20578/07.

EGMR, Urteil vom 15.09.2011, Az.: 17080/07, Rn. 84.

BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 09. April 2003 - 1 BvR 1493/96 – Leitsatz Nr. 1, vgl. http://www.bverfg.de/e/rs20030409_1bvr149396.html

BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 26 m.w.N.

Allerdings soll das Anfechtungsrecht auf bestimmte Konstellationen beschränkt sein, vgl. BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 62.

Stellungnahme des Vereins Spenderkinder zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 18. März 2019.

Helms, a.a.O., S. 12 m.w.N. Auch der Diskussionsteilentwurf lässt eine präkonzeptionelle Anerkennung nicht zu (§ 1594 Abs. 4 BGB-E).

Helms, a.a.O., S. 13.

Vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2013 - XII ZR 49/11, Rn. 22.

BMJV, Diskussionsteilentwurf Abstammungsrecht (12.03.2019), S. 3.

BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2018 - XII ZB 231/18, Rn. 24 ff., insb. Rn. 28: „Dass die Ehefrau der Kindesmutter anders als ein Ehemann nicht allein aufgrund der bei Geburt bestehenden Ehe von Gesetzes wegen rechtlicher Elternteil des Kindes ist, stellt schließlich auch keine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG dar. Vielmehr ist die Situation - wie bereits dargestellt - insoweit verschieden, als die Ehefrau nicht leiblicher Elternteil des Kindes sein kann, während der Gesetzgeber dies für den Ehemann als Regelfall vermutet und darauf die Vorschrift des § 1592 Nr. 1 BGB gründet. Dieser Unterschied rechtfertigt die im Rahmen des Abstammungs-rechts nach wie vor bestehende abweichende Behandlung gleich- und verschiedengeschlechtlicher Ehepaare und deren Kinder.“

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 2018, Az. 1 BvR 2814/17, Rn. 3 ff.