Impulstext „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“

· Stellungnahmen · Familie in der Kirche

Im Jahre 1997 hatte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz das Gemeinsame Wort „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ veröffentlicht. Mit dem jetzt vorgelegten Impulstext „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ wollen die beiden Kirchen erneut eine breite gesellschaftliche Debatte für eine gerechte Wirtschafts- und Sozialordnung anstoßen. Einzelpersonen, Gruppen und Verbände sind ausdrücklich aufgefordert, aus ihrer Sicht zu diesem Impulstext Stellung zu beziehen und Eingaben einzureichen. Diese sollen dann im Rahmen eines Kongresses im Sommer 2014 gebündelt werden und ggf. auch dokumentiert und publiziert werden.
Aus Sicht des Familienbundes ergeben sich für eine an der Lebenswelt der Familien orientierte Stellungnahme u.a. folgenden zentralen Aspekte:

Den Wert von Sorgearbeit („Care“) besser anerkennen
Unser Land steht angesichts des demografischen Wandels vor einer gewaltigen gesellschaftlichen Herausforderung. Fürsorge und Erziehung, Pflege und Unterstützung gehören zu den unverzichtbaren Leistungen der Familien am Beginn und am Ende des menschlichen Lebens. Familien benötigen dringend verbesserte Rahmenbedingungen, damit diese für die Gesellschaft konstitutiven Leitungen auch in Zukunft erbracht werden können. Dazu gehört zwingend auch eine gerechte Verteilung der finanziellen Belastungen. Der Familienbund unterstützt nachdrücklich das Anliegen des Impulstextes für „eine deutlichere Berücksichtigung des Beitrags, den Familien mit Erziehungs- und Pflegeleistungen erbringen“. (vgl. S. 38 ff.)

Diesem Anliegen ist ein erheblich größeres Gewicht als bislang einzuräumen. Aus Sicht des Familienbundes müssen folgende Problematiken klarer und dringlicher herausgearbeitet werden:

• Das System der gesetzlichen Alterssicherung benachteiligt Eltern systematisch
Die spezifische Konstruktion der Gesetzlichen Rentenversicherung fußt auf einem 2-Generationenmodell, bei dem die jeweils aktive Erwerbsgeneration für die nicht mehr erwerbstätige Generation die Beiträge aufbringt. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass es zur Aufrechterhaltung des Generationenvertrages immer auch einer nachwachsenden Generation bedarf. Das BVerf G hat dazu festgestellt, dass der generative Beitrag für das Rentensystem ebenso bedeutungsvoll ist wie die Beitragsleistung der Beitragszahler und daher besser berücksichtigt werden muss und zwar in doppelter Hinsicht. Demzufolge muss sowohl auf der Leistungsseite die Kindererziehung besser berücksichtigt werden, aber auch auf der Beitragsseite, d. h. ein kinderzahlbezogene Reduzierung des Beitrages. Beides ist bisher nicht in verfassungskonformem Umfang umgesetzt, so dass unter anderem insbesondere Mütter, die langjährig Kinder erzogen haben und deshalb auf Erwerbstätigkeit verzichtet haben, im Alter überproportional häufig von Armut betroffen sind. Auch die geplante sogenannte Mütterrente schließt diese Lücke nicht und beseitigt im Übrigen die Ungleichbehandlung von Erziehungszeiten für vor und ab 1992 geborene Kinder nur zur Hälfte.

• Die Familie ist das Rückgrat der Pflege, wird aber nicht ausreichend unterstützt
Nach wie vor leben heute 2/3 der Pflegebedürftigen in häuslicher Umgebung und werden von ihren Familienangehörigen gepflegt. Die pflegenden Angehörigen können diese Sorgearbeit häufig nur unter Zurückstellung ihrer Erwerbstätigkeit leisten und sind deshalb ebenfalls einem erhöhten Risiko von Altersarmut ausgesetzt. Die für Pflege angerechneten Beitragszeiten sind völlig unzureichend, um dieses gesellschaftlich so wichtige Sorgearbeit angemessen auszugleichen, ebenso ist das Pflegegeld gegenüber außerhäuslicher Fremdpflege deutlich zu niedrig bemessen.
Diese Beispiele zeigen, dass der Wert der Sorgearbeit in Deutschland, der Sorge am Anfang des Lebens und der Sorge insbesondere am Ende des Lebens, nicht den gesellschaftlichen Stellenwert hat, der seiner Bedeutung entspricht.

Ohne eine nachhaltige Verbesserung wird der Zusammenhalt unserer Gesellschaft mittel- und langfristig gefährdet.

Doppelte Kinderarmut deutlicher in den Blick nehmen
Der Impulstext sieht die Armut von Kindern primär im Zusammenhang mit der Bildungsarmut im Elternhaus und betont daher die Notwendigkeit von Investitionen in frühkindliche Bildungsangebote (vgl. S. 50 ff.). Aus Sicht des Familienbundes muss Kinderarmut in doppelter Hinsicht gesehen und auch als Problem der „strukturellen Rücksichtslosigkeit gegenüber Familien“ wahrgenommen werden:
In Deutschland herrscht doppelte Kinderarmut: Diese Kinderarmut bezieht sich einerseits darauf, dass noch nie so wenig Kinder geboren wurden wie gegenwärtig, zum anderen darauf, dass über eine Million Kinder in Armut leben müssen.
Die Zahl der Geburten seit Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts hat sich halbiert. Bemerkenswert daran ist, dass die Wertschätzung von Familie und Elternschaft nach wie vor außerordentlich hoch ist. Nach wie vor steht  der Wunsch nach verlässlicher Partnerschaft und ein Leben mit Kindern an der Spitze der Lebensplanung junger Menschen. Demgegenüber wird dieser Wunsch nach Kindern in auffälligem Maße nicht eingelöst. Dies scheint offensichtlich mit strukturellen Rahmenbedingungen zu tun zu haben, die eine Entscheidung zu Kindern erschweren – der Fünfte Familienbericht aus dem Jahre 1995 fasste dies bereits mit dem Begriff der „strukturellen Rücksichtslosigkeit“.

-  Unsichere Perspektiven im Bereich der Arbeitswelt
(Niedriglohn, befristete Beschäftigung usw.) sind ein strukturelles Hindernis zur
Familiengründung
-  Kindbedingte Armut ist nicht nur ein statistischer Befund, sondern die zentrale Anfrage an
eine Wohlstandsgesellschaft: noch nie waren so viele Kinder in Deutschland von Armut
betroffen wie heute

Ohne Familie ist kein Staat zu machen. Alle politischen Anliegen und Forderungen müssen dieser Erkenntnis Rechnung tragen.