17.04.2018
Mehr und günstigerer Wohnraum für Familien – aber wie?
Gastbeitrag in der Stimme der Familie 02/2018 von Prof. Dr. Michael Voigtländer, Leiter des Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte am Institut der deutschen Wirtschaft Köln
Eine Familie, die sich im Jahr 2005 eine Wohnung oder ein Haus mit 100 Quadratmetern in Hamburg kaufen wollte, musste rund 205.000 Euro bezahlen. In Düsseldorf waren es damals mit knapp unter 200.000 Euro etwas weniger, in Berlin gab es die gleiche Immobilie für sogar 140.000 Euro. 12 Jahre später, im Jahr 2017, sieht die Welt ganz anders aus: In Hamburg müssen heute für eine vergleichbare Wohnung 380.000 Euro gezahlt werden, in Düsseldorf fast 310.000 Euro und in Berlin knapp 280.000 Euro – eine Preissteigerung von 100 Prozent im Fall von Berlin. Und auch die Umlandgemeinden der großen Städte sind längst nicht mehr günstig. Bundesweit liegt der Durchschnittspreis über alle Wohnimmobilien hinweg mittlerweile bei 250.000 Euro. Wie Daten von F+B belegen, einem Unternehmen, das Daten aus Immobilienportalen auswertet, sind die Preise deutschlandweit zwischen 2012 und 2017 in vielen Kreisen um 25 Prozent, teilweise sogar um mehr als 45 Prozent gestiegen (Abbildung 1). Und auch was die Mieten angeht, ist die Lage nicht rosig. In Berlin beispielsweise sind die Mieten bei Neuverträgen von 5,60 Euro im Jahr 2017 auf mittlerweile über 8,20 Euro pro Quadratmeter gestiegen. Auch in München oder Hamburg sind die Mieten um 2 bis 3 Euro je Quadratmeter gestiegen.
Doch die hohen Preise sind das eine, überhaupt eine Wohnung oder ein Haus zu finden, das andere. Der Markt für Wohnungen und Häuser in den Ballungsräumen ist geradezu leergefegt. Auf Immobilienportalen finden sich in München und anderen Großstädten teilweise weniger als halb so viele Angebote wie noch vor zehn Jahren. Wenn man etwas findet, passt es oft nicht zu den Bedürfnissen und Wünschen, aber aus der Not heraus muss man zugreifen – trotz hoher Preise.
Wie konnte es soweit kommen? Man könnte sagen, Wohnungssuchende sind Opfer des wirtschaftlichen Erfolgs geworden. In den 2000er Jahren war Deutschland noch der „kranke Mann Europas“, die Arbeitslosigkeit war hoch, das Wirtschaftswachstum moderat und vor allem die Zuwanderung gering. In den 2000er Jahren wurde sehr intensiv über die demografischen Perspektiven Deutschlands diskutiert. Auch in Großstädten rechnete man kaum mit weiteren Einwohnerzuwächsen. Ganz offen wurde beispielsweise in Köln über den Abriss von Wohnhochhäusern diskutiert, die als Bausünden der 1970er Jahre galten. Teilweise lagen die Abwanderungszahlen aus Deutschland über denen der Zuwanderung. In Kombination mit der geringen Geburtenrate sah man die Bevölkerung daher schnell schrumpfen, weshalb Neubauten grundsätzlich als problematisch angesehen wurden.
Doch die düsteren Prognosen sollten sich nicht erfüllen. Die deutsche Ökonomie begann wieder stärker zu wachsen, wozu auch einige mutige Reformen gerade der rot-grünen Bundesregierung Anfang der 2000er Jahre beitrugen. Die deutsche Volkswirtschaft war sogar robust genug, um die Finanzkrise schnell zu überwinden. Deutschland erwies sich in dieser Zeit als besonders stabil, was das Land attraktiv für Zuwanderer machte. Und vor allem hatten auch die deutschen Unternehmen einen großen Fachkräftebedarf. So kamen immer mehr gut ausgebildete Fachkräfte aus Osteuropa, aus Südeuropa und aus aller Herren Länder nach Deutschland. Allein zwischen 2011 und 2015 betrug die Nettozuwanderung über 2,8 Millionen Menschen. Flüchtlinge spielen hierbei übrigens nur eine untergeordnete Rolle, und auch im Jahr 2015 stellen Schutzsuchende nur rund die Hälfte der gesamten Zuwanderung. Geht man von zwei Personen pro Haushalt aus, resultiert allein aus der internationalen Migration eine zusätzliche Wohnungsnachfrage von 1,4 Millionen Wohnungen – dies entspricht ungefähr dem Fünffachen der normalen Wohnungsbauaktivität.
Angesichts von rund zwei Millionen leerstehenden Wohnungen scheinbar kein großes Problem, doch die Zuwanderung konzentriert sich auf die Großstädte und einige größere Universitätsstädte. Dorthin zieht es nicht nur die internationalen Fachkräfte, sondern auch junge Menschen aus ländlichen Regionen oder strukturschwachen Räumen. Sie alle suchen in den Großstädten und Universitätsstädten gute bezahlte Arbeitsplätze oder wollen dort ein Studium aufnehmen.
Längst entsteht ein Großteil der Produktivitätsfortschritte durch neue Ideen. Innovative Ansätze entstehen vor allem dann, wenn gut ausgebildete und kreative Köpfe zusammenkommen. Und dies ist in Metropolen leichter als in vielen ländlichen Räumen, in denen es oft auch noch an schnellen Internetverbindungen fehlt. Daher kommen auch die Unternehmen vor allem in die Großstädte, und entsprechend bilden sich dort Cluster wirtschaftlicher Aktivität. Zwischen 2007 und 2016 sind allein in Berlin mehr als 20.000 Arbeitsplätze im IT-Sektor entstanden, in München mehr als 23.000 zusätzliche Arbeitsplätze bei Unternehmensberatungen. Gut bezahlte Jobs, die die Nachfrage nach Wohnraum weiter gesteigert haben.
Die Städte haben auf diese Entwicklung kaum reagiert. Spätestens als die ersten doppelten Jahrgänge aufgrund verkürzter Schulzeiten in die Städte zum Studieren drangen, hätte man Konzepte für ein schnelles Wachstum der Städte entwickeln müssen. Die große Zahl an Flüchtlingen schließlich hat den eklatanten Mangel an Wohnraum in den Ballungsräumen endgültig offen gelegt. Auch heute reichen die Fertigungszahlen nicht aus, um den Markt zu entspannen. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) braucht Berlin rund 30.000 Wohnungen pro Jahr, aber 2016 wurden nur knapp 11.000 Wohnungen gebaut. In München bedarf es rund 15.000 Wohnungen, gebaut wird nicht einmal die Hälfte (Abbildung 2).
Das Grundproblem besteht in der Ausweisung neuer Bauflächen. Es gibt genügend Investoren, die neue Wohnungen bauen möchten, doch sie finden keine geeigneten Grundstücke. Hier sind die Städte gefordert, aber auch die Gesellschaft. Der Widerstand gegen Neubauvorhaben ist groß, viele fürchten den zusätzlichen Verkehr, den zusätzlichen Lärm und möglichweise auch die Auswirkungen auf die eigene Immobilie oder aber die Zusammensetzung der Bevölkerung. Darüber hinaus stehen sich umweltpolitische Ziele und die Stadtentwicklung teilweise konträr gegenüber. Viele Bauvorhaben auf der grünen Wiese werden aus Artenschutzgründen oder aufgrund der damit verbundenen Flächenversieglung bekämpft. Doch der Gesellschaft muss klar sein: Ohne eine deutliche Steigerung des Wohnungsbaus in den Ballungsräumen lässt sich die Preisentwicklung nicht korrigieren, werden die Mieten immer weiter steigen – so wie in London oder Paris. Es bedarf daher eines klaren Bekenntnisses zum Stadtwachstum, so wie es kürzlich die niederländische Bauministerin geäußert hat. Kajsa Ollegren hat in einem Interview den klaren Auftrag an die Großstädte gegeben, auch wieder auf der grünen Wiese zu bauen. Dafür sollen Regeln des Umweltschutzes neu gesetzt werden. Tatsächlich lassen sich auch Stadtwachstum und Umweltziele gemeinsam erreichen, denn viele Ziele, wie beispielsweise die Artenvielfalt, die Versiegelung und allgemein die Emissionen, sind ortungebunden. Wenn in den Städten mehr gebaut wird, könnten ländliche Regionen stärker in ihrem umweltpolitischen Engagement unterstützt werden.
Unterstützend kann dabei auch eine Bodenwertsteuer wirken. Anders als bei der heutigen Grundsteuer, die allein aus verfassungsrechtlichen Gründen reformiert werden muss, knüpft die Besteuerung nur am Grund und Boden an, aber nicht an den Aufbauten. Damit werden Anreize gesetzt, Boden sowohl schneller als auch intensiver zu bebauen und damit Flächen besser zu nutzen. Schließlich ist es für einige Marktakteure derzeit attraktiv, Flächen bewusst zurückzuhalten, um künftig noch höhere Preise zu erzielen. Eine Bodenwertsteuer würde dieses Kalkül verändern, da den potenziellen Wertsteigerungen dann eine Steuerbelastung gegenübersteht. Außerdem spricht für die Bodenwertsteuer, dass sie administrativ einfach zu erheben ist.
Darüber hinaus bedarf es einer besseren Vernetzung der Städte und des weiteren Umlands. Die Metropolen werden immer stärker die wirtschaftliche Aktivität prägen, womit dort auch die meisten Arbeitsplätze entstehen. Das Umland und auch weiter entfernte Orte können aber dennoch als Wohnstandort attraktiv sein, wenn sie besser an die Metropolen angebunden werden. Die Erfahrungen zeigen: Alle Ort, die durch Regionalzüge oder ICEs an die Metropolen angebunden sind, gewinnen an Bevölkerung. Natürlich können die Menschen quasi von überall mit dem Auto pendeln, aber aufgrund von Staus ist dies kaum attraktiv. Hinzu kommt, dass mehr und mehr Menschen die Zeit im Auto als verloren ansehen. Anders als im Zug oder Bus kann man die Zeit eben nicht mit lesen, ausruhen, arbeiten oder chatten verbringen. Der Ausbau des ÖPNV ist jedoch vielerorts unbefriedigend. Es wäre geboten, die gute Konjunktur und die niedrigen Zinsen für den groß angelegten Ausbau des ÖPNV zu verwenden. Gelingt die bessere Verzahnung von Metropolen und peripheren Regionen, könnten die Metropolen entlastet werden und auf der anderen Seite mehr Regionen eine bessere Perspektive erhalten.
Die bessere Anbindung allein reicht jedoch nicht. Damit mehr Regionen als Wohnstandort punkten können, müssen auch der Breitbandausbau vorangebracht und die öffentliche Infrastruktur verbessert werden. Derzeit fühlen sich viel zu viele Regionen abgehängt und es ist eine große gesellschaftliche Aufgabe dafür zu sorgen, dass die vom Grundgesetz postulierte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auch wieder in diesem Sinne wahrgenommen wird.
Der Aufbau neuer Stadtviertel, der Ausbau des Personenverkehrs und die Stärkung der Regionen, all dies sind große gesellschaftliche Herausforderungen, für die möglichst bald die entsprechenden Weichen gestellt werden müssen – gerade solange der Staat finanziell große Spielräume hat. Doch all dies sind langfristige Aufgaben, die keine kurzfristigen Erfolge versprechen. Der Wohnungsmangel ist jedoch akut, was kann also getan werden?
Tatsächlich gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die auch kurzfristig helfen können. Zu nennen ist hier zum Beispiel das Wohngeld. Das Wohngeld ist eine fast vergessene Sozialleistung; doch es dient gerade dazu, bei Haushalten über der Grundsicherung sicherzustellen, dass die Wohnkostenbelastung nicht zu stark steigt. Die Transfers sind gerade so bemessen, dass die Wohnkostenbelastung nicht über 30 Prozent des Einkommens steigt. Anders als der soziale Wohnungsbau, bei dem Probleme der Fehlbelegung allgegenwärtig sind, ist das Wohngeld streng einkommensabhängig und wird nur solange gezahlt, wie das Einkommen die festgesetzten Grenzen nicht übersteigt. Außerdem gibt es, ebenfalls anders als beim sozialen Wohnungsbau, einen Rechtsanspruch auf die Leistungen. Das Wohngeld hat jedoch einen ganz entscheidenden Konstruktionsfehler – es wird zu selten angepasst. In der Vergangenheit wurden die Leistungen nur alle sieben Jahre verbessert, was zur Folge hat, das immer mehr Menschen aus der Förderung herausfallen. Wenn das Wohngeld nicht an die Einkommens- und Mietentwicklung angepasst wird, entwerten sich die Leistungen und Menschen verlieren ihren Anspruch, obwohl sich ihre Lage nicht wirklich verbessert hat. Ebenso wie die Grund-sicherung sollte auch das Wohngeld jährlich angepasst, also dynamisiert werden. Es ist bedauerlich, dass diese nachvollziehbare Forderung einzig von den Grünen im Wahlkampf vertreten wurde, im Koalitionsvertrag der Bundesregierung findet sich hierzu hingegen keine Vereinbarung.
Des Weiteren gibt es große Potenziale im Bestand. Die Potenziale des Ausbaus von bestehenden Gebäuden sind in den letzten Jahren mehrfach analysiert worden. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Regionen mit angespannten Märkten 580.000 Mehrfamilienhäuser aufgestockt werden könnten, wodurch 1,1 Millionen zusätzliche Wohnungen entstehen können – also genug, um den Fehlbedarf der letzten Jahre auszugleichen. Die Potenziale sind damit groß, und der Ausbau bestehender Gebäude bietet weitere Vorteile. So ist für die Schaffung dieser Wohnungen kein neues Bauland notwendig und im Wesentlichen auch keine neue Infrastruktur. Dennoch werden die Potenziale kaum genutzt.
Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen. Oftmals ist es schwierig, Baugenehmigungen zu erhalten, da es sich bei Aufstockungen um komplexere Bauvorhaben handelt. Insbesondere der Brandschutz erweist sich hier als Hemmschuh. Hinzu kommen aber weitere Auflagen, die die Aufstockungen deutlich verteuern. Hierzu gehören die Stellplatzpflicht, also die Auflage der Bereitstellung zusätzlicher Parkplätze, die Einhaltung von energetischen Standards wie im Neubau, der Wegfall des Bestandsschutzes für das Gesamtgebäude oder aber die Pflicht zum Einbau von Aufzügen. All dies kann die Kosten so stark erhöhen, dass sich der Bau nicht lohnt.
Angesichts der Notwendigkeit der Schaffung neuer Wohnungen in den Städten müssen die Rahmenbedingungen für den Dachausbau verbessert werden. Eine ganz entscheidende Maßnahme bestünde darin, Dachausbauten nicht als Neubauten anzusehen, sondern als Bestandsmaßnahmen, wie dies in einigen Bundesländern auch schon umgesetzt ist. Damit würde verhindert werden, dass der Bestandsschutz für das Gebäude entfällt und im Gesamtgebäude höhere energetische Standards umgesetzt werden müssen. Selbstverständlich wäre ein Dachausbau weiter genehmigungspflichtig, aber die Hürden für die Umsetzung der Maßnahme wären dann deutlich geringer. Darüber hinaus wäre es wichtig, dass die Städte solche Maßnahmen auch politisch unterstützen und dabei helfen, mögliche Widerstände zu überwinden. Hilfreich wäre es auch, wenn die Städte gerade privaten Eigentümern auch Beratungs-angebote zur Verfügung stellten.
Ein zweiter Ansatz besteht darin, den vorhandenen Wohnungsbestand besser zu nutzen. Viele Haushalte leben in Wohnungen, die sie nicht vollumfänglich nutzen. Ein typisches Beispiel sind beispielsweise Rentner, die alleinstehend oder zu zweit in großen Einfamilienhäusern leben. Dies kann selbstverständlich gewünscht sein, doch oft werden in solchen Fällen viele Räume kaum sinnvoll genutzt. Hier wäre es bedenkenswert, überflüssige Räume unterzuvermieten, oder aber Einliegerwohnungen aus ihnen zu machen. Auch dies würde die Situation im Wohnungsmarkt entspannen.
Einliegerwohnungen waren gerade in den 1960er bis 1980er Jahren ein wichtiges Instrument zur Stabilisierung des Wohnungsmarktes, das vor allem durch steuerliche Anreize unterstützt wurde (Deutscher Bundestag, 1982). Diese Option sollte angesichts des großen Potenzials im Wohnungsbestand wieder ergriffen werden. Dabei ist zu sehen, dass dies eine Win-Win-Situation darstellt, denn die zusätzlichen Mietangebote tragen zur Entspannung des Wohnungsmarktes bei, die zusätzlichen Mieteinnahmen hingegen verbessern die Einkommen der Eigentümer und ermöglichen es vielen Haushalten damit erst, in dem bislang genutzten Haus oder der Wohnung dauerhaft zu bleiben.
Neben den selbstgenutzten Immobilien sind auch im Mietwohnungsbestand Potenziale für eine bessere Allokation vorhanden. Gerade in der aktuellen Lage gehen die Mieten bei bestehenden Verträgen und Wiedervertragsmieten auseinander, so dass Haushalte trotz zu großer Wohnungen die Wohnungen nicht wechseln. Hinzu kommt die vertraute Umgebung und die Umzugskosten, die Haushalte von einem eigentlich sinnvollen Wechsel in eine kleinere Wohnung abhalten. Nach Daten des SOEP leben knapp 1,3 Millionen Ein- und Zweipersonenhaushalte im städtischen Raum in Wohnungen, die mit vier oder fünf Räumen ausgestattet sind. Wie eine Studie der Schader-Stiftung zeigt, sind rund ein Drittel aller Haushalte über 55 Jahre bereit, noch einmal umzuziehen, gerade auch weil sie ihre Wohnung als zu groß empfinden. Bevorzugt werden dann barrierearme Wohnungen gesucht, die bislang allerdings noch Mangelware sind. Nichtsdestotrotz können hier Umzugshilfen zusätzliche Anreize setzen, den Wohnungswechsel tatsächlich zu vollziehen.
Ein ganz wichtiger Baustein der Wohnungspolitik, gerade für Familien, sollte schließlich die Bildung von Wohneigentum sein.
Dies wirkt auf den ersten Blick kontraintuitiv. Schließlich sind die Preise für Wohneigentum noch schneller als die Mieten gestiegen. Allerdings überkompensiert die Zinsentwicklung die Entwicklung der Immobilienpreise. Das IW beschäftigt sich seit langem mit diesem Thema und stellt fest, dass Eigentümer aktuell im Vergleich zu Mietern 30 Prozent an Kosten sparen. Selbst wenn die Tilgung mit eingerechnet wird, also ein Vermögensaufbau, der den Mietern fehlt, stellen sich die Eigentümer während des Erwerbslebens besser als die Mieter. In vielen Kreisen können Familien daher heute ein Eigenheim erwerben und zu günstigeren Konditionen finanzieren als andere, die für ihre Miete zahlen. Obendrein erhalten die Eigentümer eine Altersvorsorge in Form einer Wohnung, für die sie im Rentenalter keine Miete zahlen müssen. Dies bedeutet auch, dass eine Förderung wie das geplante Baukindergeld gar nicht notwendig ist, da Wohneigentum bereits sehr attraktiv ist. Dennoch ist zu beobachten, dass die Wohneigentumsquote stagniert, sie befindet sich seit 2010 immer noch auf einem Niveau von gut 45 Prozent. Betrachtet man die verschiedenen Altersgruppen, stellt man fest, dass zwar ältere Haushalte mehr Wohneigentum gebildet haben, gerade bei den jüngeren Haushalten aber ein Rückgang feststellbar ist.
Ursächlich hierfür ist vor allem der Kapitalmangel. Die laufenden Kosten aus Zins, Tilgung und Instandsetzung können die meisten Haushalte stemmen, aber der anfänglich hohe Kapitalbedarf, der sich aus den Erwerbsnebenkosten und dem Eigenkapital zusammensetzt, hält gerade jüngere Haushalte vom Wohneigentumserwerb ab. Wer in Deutschland Eigentum erwirbt, muss zwischen 4,6 Prozent und 8 Prozent des Kaufpreises für Grunderwerbsteuer, Notar und Grundbuchamt bezahlen. Hinzu kommt gegebenenfalls die Provision für den Makler, die je nach Bundesland zwischen 3,57 Prozent und 7,14 Prozent für den Käufer beträgt. Weiterhin erwarten die Banken von den Kunden Eigenkapital in der Finanzierung. Dies beträgt zwischen 10 Prozent und 20 Prozent des Kaufpreises. Wer also Eigentum erwerben möchte, muss rund 20 Prozent bis besser 30 Prozent des Kaufpreises gespart haben. Angesichts steigender Wohnungspreise in den letzten Jahren ist der Kapitalbedarf immer weiter gestiegen. Bei einem Durchschnittspreis für Wohneigentum in Deutschland von rund 250.000 Euro muss ein Haushalt rund 50.000 Euro angespart haben – dies trifft aber nur auf rund 11 Prozent der Mieter zu, wie eine Auswertung des SOEP aus dem Jahr 2012 zeigt. In der Gruppe der 25- bis 40-jährigen Mieter, die das größte Potenzial der Ersterwerber stellen, sind es sogar weniger als 10 Prozent, die über so große Ersparnisse verfügen.
Neben individuellen Erwägungen, wie der Unsicherheit über den bevorzugten Wohnstandort, der Haushaltsgröße oder der generellen Vorliebe für das Wohnen zur Miete, dürfte der Kapitalmangel das wesentliche Hemmnis für potenzielle Käufer darstellen. Dies gilt im Besonderen für die Großstädte, wo die Preise und damit der Kapitalbedarf noch einmal deutlich größer sind als in ländlichen Regionen. Andere Länder zeigen, dass es durchaus Mittel und Wege für den Staat gibt, die nur wenig oder gar nichts kosten, die aber den Haushalten effektiv helfen können, diesen Kapitalmangel zu überwinden. Im Folgenden werden insbesondere fünf Ansätze kurz diskutiert:
1. Reform der Grunderwerbsteuer. Unter den Erwerbsnebenkosten stellt die Grunderwerbsteuer den wesentlichen Kostentreiber dar. In vielen Bundesländern wurde die Grunderwerbsteuer zuletzt deutlich erhöht, insbesondere weil die Grunderwerbsteuer im Länderfinanzausgleich privilegiert ist. Anders als bei anderen Steuereinnahmen müssen Mehreinnahmen faktisch nicht mit anderen Bundesländern geteilt werden – gerade deswegen haben vor allem finanzschwache Bundesländer die Grunderwerbsteuer deutlich erhöht. Vor diesem Hintergrund werden Forderungen nach einer Absenkung einer Reduktion der Sätze kaum erfüllt werden. Allerdings ließe sich die Struktur der Grunderwerbsteuer deutlich verändern. In Großbritannien gilt in der Grunderwerbsteuer ein Stufentarif mit Freibetrag. Demnach werden kleine und günstige Wohnungen kaum besteuert, große Anwesen und Villen dagegen deutlich höher. Ein solcher Stufentarif könnte auch auf Deutschland Anwendung finden und somit gerade Haushalte im unteren und mittleren Einkommensbereich entlasten. Außerdem könnte der Staat seinen Bürgern ermöglichen, die Grunderwerbsteuer über einen längeren Zeitraum zu bezahlen. Angesichts geringer Zinssätze wäre dies kaum mit Mehrkosten verbunden, könnte aber den Kapitalbedarf zum Kaufzeitpunkt deutlich reduzieren.
2. Sonstige Erwerbsnebenkosten. Auch bei den sonstigen Erwerbsnebenkosten bieten sich Einsparpotenziale. In vielen anderen Ländern ist das Bestellerprinzip bei Immobilienkäufen längst üblich. In den Niederlanden hat es dazu geführt, dass die Maklerprovision nur noch zwischen 1 Prozent und 2 Prozent liegt. Ursächlich hierfür ist, dass der Verkäufer wesentlich besser über den Preis der Vermittlung verhandeln kann – schließlich kann er sich mehrere Angebote einholen. Ein Käufer hingegen hat in angespannten Märkten hingegen kaum eine Möglichkeit, über die Provision zu verhandeln. Auch bei den Notarkosten und Grundbuchkosten gibt es viele Einsparpotenziale, wenn man Deutschland mit Großbritannien oder den Niederlanden vergleicht.
3. Kreditausfallgarantien. Neben den Erwerbsnebenkosten stellt auch der hohe Eigenkapitalbedarf ein wesentliches Hemmnis dar. In Frankreich und den Niederlanden vergibt daher der Staat Kreditausfallgarantien, um den Käufern höhere Fremdkapitalquoten zu ermöglichen. Damit dies nicht zu einem unkalkulierbaren Risiko für den Staat wird, sollten stetige Erwerbsverläufe vorausgesetzt werden. Außerdem sollte eine Festzinsbindung von zehn Jahren und eine Mindesttilgung vorgeschrieben werden. Schließlich sind in den USA vor allem deswegen viele Haushalte in die Überschuldung geraten, weil sie aufgrund der variabel verzinslichen Hypothekendarlehen bei anziehendem Zinsniveau die Raten nicht mehr begleichen konnten (Mills/Kiff, 2007). Bei Festzinsbindung und kontinuierlicher Tilgung ist das Risiko höherer Zinsen in der Anschlussfinanzierung aber deutlich geringer.
4. Vermögensförderung. Neben Reformen zur Verringerung des Kapitalbedarfs sollte die Politik auch Reformen anstoßen, die den Kapitalaufbau unterstützen. Mit der Arbeitnehmersparzulage und der Wohnungsbauprämie gibt es unter anderen zwei Instrumente, die gezielt den Vermögensaufbau von Haushalten mit kleinen und mittleren Einkommen unterstützen sollen. Allerdings sind beide Instrumente seit den 1990er Jahren nicht angepasst worden, das heißt die Einkommensgrenzen und die Förderbeträge haben sich real entwertet. Eine Anpassung der Arbeitnehmersparzulage an heutige Einkommensverhältnisse würde den Staat ungefähr 550 Millionen Euro kosten. Neben der direkten Förderung hätte eine Anpassung vor allem eine Signalwirkung und könnte damit die frühzeitige Ersparnisbildung anregen.
5. Schweizer-Modell. Unter dem Begriff Schweizer-Modell wird hier die Entnahme von Mitteln zum Zweck des Wohneigentumserwerbs aus der betrieblichen Altersvorsorge verstanden. Zwar kann man schon heute Mittel aus der Riesterrente entnehmen, allerdings sind die Vorgaben relativ restriktiv. Außerdem ist die Ersparnis in der betrieblichen Altersvorsorge häufig höher. In der Schweiz können dagegen angesparte Mittel im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge zum Zwecke des Eigentumserwerbs entnommen werden. Hierbei besteht auch kein Rückzahlungserfordernis. Fast 50 Prozent der Wohnungskäufer in der Schweiz nutzen Mittel aus der betrieblichen Altersvorsorge zur Finanzierung, wobei durchschnittlich 40.000 Schweizer Franken entnommen werden. Eine ähnliche Flexibilität würde auch deutschen Haushalten die Wohneigentumsbildung deutlich erleichtern.
Den Vorschlägen ist gemein, dass die Kosten für den Staat gering sind, die Effekte, gerade in Kombination, aber merklich sein dürften. Dies unterscheidet die Vorschläge maßgeblich von dem Baukindergeld, das nach IW-Berechnungen allein in dieser Legislaturperiode bis zu 4,5 Milliarden Euro kosten könnte.
Die Lage im Wohnungsmarkt für Familien ist insgesamt schwierig, aber mit den richtigen Instrumenten kann der Staat die Situation der Familien verbessern. Es wird darauf ankommen, in dieser Legislaturperiode sowohl Maßnahmen zu ergreifen, die kurzfristige Entspannung versprechen, als auch den Rahmen so zu setzen, dass die Städte auch wachsen können, um den Wohnungsmangel nachhaltig zu überwinden.
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