17.07.2024
Stellungnahme zum Entwurf eines zweiten Jahressteuergesetzes 2024
Cathy Schneider/Berlin
I. Einleitende Bemerkungen
Am 10. Juli 2024 hat das Bundesministerium der Finanzen den Entwurf eines zweiten Jahressteuergesetzes 2024(JStG 2024 II) vorgelegt. Der Entwurf sieht v.a. folgende für Familien relevante Änderungen vor:
- Der Grundfreibetrag für Erwachsene und der Kinderfreibetrag werden ab 2025 und erneut ab 2026 angehoben, um Kostensteigerungen zu berücksichtigen und das Existenzminimum für alle Familienmitglieder steuerfrei zu stellen.
- Das Kindergeld wird ab 2025 um 5 Euro pro Monat auf 255 Euro erhöht.
- Durch eine Verschiebung des Steuertarifs entsprechend der Preisentwicklung wird die „kalte Progression“ ausgeglichen – also der Effekt, dass die Steuerlast durch inflationsentsprechende Lohnerhöhungen ansteigt, ohne dass die Kaufkraft gestiegen ist.
- Die Steuerklassenkombination III und V soll abgeschafft und ab 2030 in das Faktorverfahren der Steuerklasse IV überführt werden.
Bei den Anpassungen der Steuerfreibeträge an die Preisentwicklung, der entsprechenden Anhebung des Kindergeldes und dem Ausgleich der kalten Progression handelt es sich nicht um gestaltende, sondern um verwaltende Familienpolitik. Ähnliche Maßnahmen haben auch frühere Bundesregierungen vorgenommen. Im historischen Vergleich liegen die Unterschiede darin, ob auch Anpassungen über die Inflation hinaus vorgenommen werden sollten. Das ist aktuell nicht geplant. Die Änderungen sind aber dennoch von hoher Wichtigkeit für die Familien, da sie finanziell bedeutende Auswirkungen haben. Die Anhebung der Steuerfreibeträge ist verfassungsrechtlich geboten. Die gleichzeitige Anhebung des Kindergeldes ist notwendig, damit die Familienförderung erhalten bleibt und alle Familien erreicht werden. Der Ausgleich der kalten Progression verhindert heimliche, durch Inflation eintretende Steuererhöhungen. Der Familienbund begrüßt, dass diese Änderungen vorgenommen werden.
Zusammenfassend sind folgende Punkte zu nennen:
- Die Freibetragsanhebung für das Jahr 2025 erscheint im Hinblick auf die aktuelle Inflation sehr niedrig und sollte noch einmal überprüft werden. Eine Erhöhung um 2 % erscheint aus aktueller Sicht mindestens erforderlich.
- Aufgrund der starken Inflation der letzten Jahre kann der BEA-Freibetrag, der den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf der Familien berücksichtigt, nicht auf dem Stand von 2021 bleiben. Der BEA-Freibetrag muss an die Inflation angepasst werden.
- Bei der Kindergelderhöhung muss auch die starke Erhöhung des Kinderfreibetrages im Jahr 2024 berücksichtigt werden. Sonst nimmt die Bundesregierung de facto ihre eigene Aussage zurück, dass die Erhöhung des Kindergeldes zum 1. Januar 2023 auf 250 Euro nicht nur eine Inflationsanpassung, sondern eine Stärkung der Familienförderung und bereits eine Teilumsetzung der vereinbarten Kindergrundsicherung gewesen sei. Fällt die Kindergelderhöhung 2024 aus, sinkt die Familienförderung wieder deutlich. Das Kindergeld muss 2025 entsprechend der Freibetragssteigerungen seit 2023 um 7,2 % von 250 Euro auf 268 Euro angehoben werden. Legt man nur die Freibetragssteigerungen, die seit dem Inflationsausgleichsgesetz 2022 beschlossen wurden, zugrunde, müsste das Kindergeld 2025 zumindest um 3,1 % von 250 Euro auf 258 Euro steigen.
- Positiv ist, dass gesetzlich geregelt werden soll, dass bei einer Anhebung der Kinderfreibeträge das Kindergeld entsprechend erhöht wird. Dadurch stärkt der Gesetzgeber die bisherige parlamentarische Praxis. Der Familienbund schlägt vor, die Regelung in § 66 Abs. 3 EStG-E so zu formulieren, dass das Kindergeld mindestens entsprechend der Freibeträge angehoben werden muss. Die Selbstverständlichkeit, dass es auch in Zukunft möglich sein soll – und im Sinne des „besonderen Schutzes der Familie“ (Art. 6 Abs. 1 GG) geboten wäre –, über eine Inflationsanpassung hinaus die Familienförderung zu stärken, sollte klargestellt werden.
Die Abschaffung der Steuerklassenkombination III/V sieht der Familienbund als Kompromiss in der Debatte um das Ehegattensplitting, das im Gegenzug erhalten bleiben muss. Die Reform bringt Vorteile für die Geschlechtergerechtigkeit, da die demotivierende Wirkung einer übermäßigen Besteuerung des weniger verdienenden Partners entfällt. Da Alleinverdienerfamilien über die Steuerklassenkombination IV/IV mit Faktor eine ähnliche Wirkung erzielen können wie über die Steuerklassenkombination III/V, beschränken sich die Nachteile im Wesentlichen auf einen höheren bürokratischen Aufwand. Dieser muss durch eine gute verwaltungspraktische Umsetzung der Reform weitgehend vermieden werden. Ein leicht erhöhter Aufwand kann für eine gerechtere Besteuerung beider Ehepartner in Kauf genommen werden.
II. Bewertung einzelner Maßnahmen
1.Anhebung des Kinderfreibetrages
Der Kinderfreibetrag soll 2025 um 60 Euro auf 6.672 Euro und ab 2026 um 156 Euro auf 6.828 Euro angehoben werden. Im Zeitraum seit 2023 ergeben sich damit folgende Werte:
| 2023
| 2024 | 2025 | 2026 |
Kinderfreibetrag
| 6024 Euro | 6612 Euro (aktuell noch: 6.384 Euro) | 6672 Euro | 6828 Euro |
BEA-Freibetrag[1] | 2928 Euro | 2928 Euro | 2928 Euro | 2928 Euro |
Gesamtfreibetrag |
8952 Euro |
9540 Euro (aktuell noch 9.312 Euro) |
9600 Euro |
9756 Euro |
Erhöhung (im Vorjahresvergleich) um |
404 Euro |
588 Euro |
60 Euro |
156 Euro |
Erhöhung Kinderfreibetrags in % (Vorjahresvergleich) | 7,2 % | 9,8 % | 0,9 % | 2,3 % |
Erhöhung des Gesamtfreibetrages in % (Vorjahresvergleich) | 4,7 % | 6,6 % | 0,6 % | 1,6 % |
In der Tabelle ist berücksichtigt, dass der zum 1. Januar 2024 (aufgrund des Inflationsausgleichsgesetz vom 8. Dezember 2022) um 360 Euro auf 6.384 Euro erhöhte Kinderfreibetrag rückwirkend um weitere 228 Euro auf 6.612 Euro erhöht werden soll. Damit ergibt sich eine Gesamterhöhung um 588 Euro von 2023 auf 2024. Die deutliche Erhöhung des Kinderfreibetrages zum Jahresbeginn 2024 ist durch die starke Inflation des Vorjahres erklärbar.[2] Fraglich ist, warum zum 1. Januar 2025 nur noch eine Erhöhung um 60 Euro geplant ist. Das entspricht einer Erhöhung des Kinderfreibetrages um lediglich 0,9 Prozent. Angesichts einer aktuellen Inflationsrate von 2,2 % (Juni 2024) wird diese Erhöhung voraussichtlich nicht ausreichen, um die für das Jahr 2024 zu erwartenden Kostensteigerungen abzudecken. Im laufenden Jahr 2024 liegen die Inflationsraten deutlich über 2 % (Januar: 2,9 %; Februar: 2,5 %; März - April: 2,2 %; Mai: 2,4 %; Juni 2,2 %).[3] Vor dem Hintergrund, dass das Existenzminimum in den Vorjahren sogar stärker gestiegen ist als die allgemeinen Verbraucherpreise, ist es erläuterungsbedürftig, warum diesmal eine Erhöhung erfolgen soll, die voraussichtlich deutlich unter der Inflation liegt. Nach der Auffassung des Familienbundes erscheint aus heutiger Sicht zum 1. Januar 2025 eine Erhöhung des Kinderfreibetrages um mindestens zwei Prozent sachgerecht. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens sind Anpassungen vorzunehmen, damit die Preisentwicklung realistisch abgebildet wird.
Der Familienbund kritisiert, dass der Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes (BEA) trotz der starken Inflation der letzten Jahre konstant bleiben soll. Dieser Freibetrag steht den Familien aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu.[4] Wie alle steuerlichen Freibeträge muss auch der BEA-Freibetrag regelmäßig an die Preisentwicklung angepasst werden. Da die letzte Anpassung 2021 erfolgte, besteht Nachholbedarf. Wird der BEA-Freibetrag nicht erhöht, ergeben sich für den Gesamtfreibetrag für Kinder deutlich geringere prozentuale Erhöhungen als für den Kinderfreibetrag: Der Gesamtfreibetrag 2025 wird im Vergleich zum Jahr 2024 nur um 0,6 % erhöht (siehe Tabelle oben).
2. Erhöhung des Kindergeldes
Ab Januar 2025 soll das Kindergeld von 250 Euro auf 255 Euro monatlich angehoben werden. Der Familienbund begrüßt die Erhöhung, hält diese aber in der Höhe nicht für ausreichend.
a. Gleichzeitige Anhebung von Kindergeld und Kinderfreibetrag
Dass das Kindergeld und der Kinderfreibetrag gleichzeitig angehoben werden, ist richtig und seit einem entsprechenden Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 1995[5] regelmäßige parlamentarische Praxis. Dafür gibt es gute Gründe:
- Wenn nur der Freibetrag angehoben wird, wird die Erhöhung nur für gutverdienende Familien spürbar. Denn die Steuerersparnis durch den Kinderfreibetrag wird im aktuellen System durch das Kindergeld ausgezahlt (Steuerfreistellungsanteil des Kindergeldes). Der verbleibende Restbetrag des Kindergeldes soll Familien fördern (§ 31 S. 1 f. EStG). Solange die Steuerersparnis das Kindergeld nicht übersteigt, spüren Familien nichts von Freibetragserhöhungen.
- Eine Anhebung des Freibetrags ohne gleichzeitige Kindergelderhöhung führt dazu, dass der Steuerfreistellungsanteil des Kindergelds steigt und der Familienförderungsanteil des Kindergeldes sinkt. Die gleichzeitige Anhebung des Kindergeldes ist daher notwendig, um die Familienförderung zumindest auf dem aktuellen Niveau zu halten.
- Wenn man nur den Kinderfreibetrag, aber nicht das Kindergeld anhebt, vergrößert sich die Entlastungslücke zwischen Familien, die nur das Kindergeld beziehen, und Familien, die eine zusätzliche Steuerentlastung erhalten. Wenn das Kindergeld bei gut verdienenden Familien betragsmäßig nicht ausreicht, um die sich aus dem Kinderfreibetrag ergebende Steuerfreistellung auszuzahlen, wird zusätzlich zum Kindergeld eine Steuererstattung gewährt. Je höher das Einkommen (und die Steuerbelastung) ist, desto höher ist die Entlastungswirkung des Freibetrags. Die maximale Entlastungswirkung des Kinderfreibetrages liegt derzeit (ohne die aktuell geplanten Erhöhungen) bei 349 Euro – d.h. 99 Euro über dem Kindergeld. Wenn man diese Lücke zugunsten von Familien mit kleinen Einkommen verringern möchte, muss man das Kindergeld anheben. Viele Familienorganisationen – u.a. auch der Familienbund und die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) – fordern eine Anhebung des Kindergeldes auf die maximale Freibetragswirkung, damit „jedes Kind gleich viel wert ist“.
b. Gesetzliche Regelung für die gleichzeitige Anhebung
Der Familienbund begrüßt, dass die bisherige parlamentarische Praxis, das Kindergeld und den Kinderfreibetrag gleichzeitig anzuheben, durch eine ausdrückliche Regelung im Einkommensteuergesetz (EStG) gestärkt werden soll. Der Gesetzentwurf enthält folgende Regelung, die sich sinngemäß bereits im Regierungsentwurf zur Kindergrundsicherung vom Herbst 2023 befand:
„Werden die Freibeträge für Kinder […] angehoben, wird das Kindergeld entsprechend erhöht“ (§ 66 Abs. 3 EStG-E).
Diese Formulierung sollte um das Wort „mindestens“ ergänzt werden, um klarzustellen, dass es weiterhin möglich sein wird, im Rahmen der gesetzgeberischen Freiheit – und mit Rücksicht auf das Gebot der Familienförderung aus Art. 6 Abs. 1 GG – das Kindergeld stärker als den Kinderfreibetrag anzuheben. Der Familienbund schlägt folgende Formulierung vor:
„Werden die Freibeträge für Kinder […] angehoben, wird das Kindergeld mindestens entsprechend erhöht“ (§ 66 Abs. 3 EStG-E).
Zu kritisieren ist, dass die Regelung erst ab 2026 gelten soll und nicht bereits ab 2025. Gerade weil im Grundsatz nichts Neues geregelt, sondern die jahrzehntelange parlamentarische Praxis bestätigt wird, überzeugt das hinausgeschobene In-Kraft-Treten der Regelung nicht. Die sofortige Geltung ist deswegen wichtig, weil die sachlich richtige Kindergelderhöhung ansonsten gerade dann entfallen – oder zu gering ausfallen – könnte, wenn es wegen einer höheren Inflation besonders notwendig wäre. Der vorliegende Gesetzentwurf ist hierfür ein Beispiel.
c. Unzureichende Erhöhung des Kindergeldes
Die Erhöhung des Kindergeldes ist schon deswegen nicht ausreichend, da nur für das Jahr 2025 eine Erhöhung vorgesehen ist, während für das Jahr 2024 keine Kindergelderhöhung geplant ist, obwohl der Freibetrag in diesem Jahr sehr deutlich gestiegen ist und weiter steigen soll. Aus den o.g. Gründen müssen das Kindergeld und der Kinderfreibetrag immer gleichzeitig angehoben werden. Wenn der Bundesfinanzminister geltend macht, dass für das Jahr 2024 keine weitere Erhöhung notwendig sei, da das Kindergeld 2023 „sehr stark und überproportional erhöht“[6] wurde, überzeugt das nicht. Im Inflationsausgleichsgesetz vom 8. Dezember 2022 hat sich die Bundesregierung darauf geeinigt, das Kindergeld für alle Kinder auf 250 Euro anzuheben und zugleich die Kinderfreibeträge für die Jahre 2022 bis 2024 jeweils anzuheben. Die Kindergelderhöhung wurde im Verhältnis zu den damals vorgesehenen Freibetragserhöhungen als angemessen angesehen. Nachdem zunächst zum Jahresanfang 2023 eine Kindergelderhöhung auf 237 Euro geplant war, hat die Bundesregierung sich erfreulicherweise für eine „nochmalige Erhöhung“ auf 250 Euro entschieden und kommuniziert, dass es sich „um die höchste Kindergelderhöhung seit 1996“ gehandelt habe.[7] Die Erhöhung wurde zudem immer wieder als Baustein der geplanten Kindergrundsicherung bezeichnet. Offensichtlich ging es nicht nur um eine den Freibetragssteigerungen entsprechende Inflationsanpassung, sondern um die Stärkung einkommensschwächerer Familien durch eine Erhöhung der Familienförderung. Zudem gab es nicht für alle Kinder eine Erhöhung: Mehrkindfamilien erhalten für das vierte und weitere Kinder bereits seit 2021ein Kindergeld in Höhe von 250 Euro. Wenn jetzt eine weitere Kinderfreibetragserhöhung für 2024 vorgenommen wird, muss auch das Kindergeld erneut erhöht werden, um die Familienförderung zumindest auf dem Niveau zu halten, auf das sich die Regierung Ende 2022 geeinigt hatte
Die betragsmäßig deutliche Anhebung des Kindergeldes zu Beginn des Jahres 2023 muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag der Sicht angeschlossen hatte, dass die Entlastungswirkung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages kleiner werden und letztendlich geschlossen werden sollte: „Mit dem Garantiebetrag legen wir in dieser Legislaturperiode die Grundlage für unser perspektivisches Ziel, künftig allein durch den Garantiebetrag [d.h. das Kindergeld] den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach Freistellung des kindlichen Existenzminimums bei der Besteuerung des Elterneinkommens zu entsprechen“ (KoaV, S. 79). Das Inflationsausgleichsgesetz 2022 hat dazu geführt, dass die Entlastungslücke zwischen Familien mit kleinen und solchen mit größeren Einkommen Anfang 2023 von 102 Euro auf 86 Euro gesunken ist. Anfang 2024 ist diese wieder auf 99 Euro gestiegen. Die weitere, rückwirkende Freibetragserhöhung zum 1. Januar 2024 wird die Lücke auf 108 Euro vergrößern. 2025 wird sie nach der Kindergelderhöhung wieder leicht auf 105 Euro sinken. Der Familienbund ist der Meinung, dass der Gesetzgeber – wenn er 2022 einen bewussten und richtigen Schritt zu einer erhöhten Familienförderung und zur Verringerung der Entlastungslücke unternommen hat – diese nicht durch eine 2024 ausbleibende Kindergelderhöhung wieder zurücknehmen sollte.
Die Regierung muss sich entscheiden: Sie kann sich in ihrer Darstellung nicht einerseits darauf berufen, dass mit der Kindergelderhöhung 2023 bereits eine Stärkung von Familien und ein wesentlicher Teil der im Koalitionsvertrag geplanten Kindergrundsicherung umgesetzt sei[8], und sich zugleich auf den Standpunkt stellen, die Kindergelderhöhung 2023 sei nichts anderes gewesen als eine zeitlich vorgezogene Inflationsanpassung.
Fraglich ist auch, wie sich die 2024 ausbleibende Kindergelderhöhung mit der ab 2026 geltenden Regelung verträgt, dass das Kindergeld entsprechend der Entwicklung der Kinderfreibeträge erhöht werden soll. Wenn die bisherige parlamentarische Praxis durch eine gesetzliche Regelung verbindlicher werden soll, warum unterläuft man diese Praxis dann 2024? Der Familienbund hält auch das für widersprüchlich.
Konsequent wäre, die ab 2026 geltende Regelung bereits bei der Kindergelderhöhung 2025 anzuwenden. Nimmt man die Freibetragserhöhungen seit der letzten Kindergelderhöhung 2023 zum Maßstab ergibt sich die Notwendigkeit, das Kindergeld um 7,2 % von 250 Euro auf 268 Euro anzuheben (vgl. Tabelle oben: Erhöhung der Freibeträge zum Jahresbeginn 2024 um insgesamt 6,6 % und zum Jahresbeginn 2025 um insgesamt 0,6 %). Legt man die Freibetragssteigerungen, die seit dem Inflationsausgleichsgesetz 2022 beschlossen wurden, zugrunde, müsste das Kindergeld zumindest um 3,1 % von 250 Euro auf 258 Euro steigen.
3. Abschaffung der „kalten Progression“
Der Familienbund begrüßt, dass der Gesetzgeber die „kalte Progression“ für die Veranlagungszeiträume 2025 und 2026 ausgleicht, indem die Eckwerte des Einkommensteuertarifs entsprechend der Preisentwicklung nach rechts verschoben werden. Mit dem Begriff der „kalten Progression“ wird das Phänomen beschrieben, dass Lohnsteigerungen in Höhe der Inflationsrate – also ohne Erhöhung der Kaufkraft und der steuerlichen Leistungsfähigkeit – zu einer stärkeren Steuerbelastung führen. Will man dies vermeiden, muss der Steuertarif regelmäßig an die Inflation angepasst werden. Der Familienbund hält dies für zwingend erforderlich. Entsprechende Tarifanpassungen werden oftmals irrtümlich in Politik und Presse als Steuerentlastungen kommuniziert. In Wirklichkeit werden durch die Beseitigung der kalten Progression aber lediglich heimliche Steuererhöhungen verhindert. Denn es wird sichergestellt, dass bei gleichbleibender steuerlicher Leistungsfähigkeit weiterhin dieselbe Steuerbelastung gilt.
Für den Familienbund ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die kalte Progression verhindert werden muss. Steuererhöhungen durch kalte Progression sind sehr kritisch zu bewerten, da sie ohne gesellschaftliche und parlamentarische Debatte erfolgen und pauschal alle Steuerzahlenden belasten, während ein gerechteres Steuersystem differenziert und zielgenau belasten und entlasten müsste. Aufgrund des im unteren Einkommensbereich besonders steil steigenden Steuertarifs sind niedrige Einkommen sogar prozentual besonders stark von der kalten Progression betroffen. Als Weg der Staatsfinanzierung ist die kalte Progression daher indiskutabel. Es ist also richtig, dass der Gesetzgeber – wie in den vergangenen Jahren – die kalte Progression verhindern möchte.
Aufgrund der beschriebenen Probleme der kalten Progression fordert der Familienbund, diese durch einen sogenannten „Tarif auf Rädern“, d.h. eine automatische Anpassung des Steuertarifs entsprechend dem Durchschnitt der Lohnsteigerungen („Tarifindex“) oder entsprechend der Inflation („Preisindex“), endgültig zu beseitigen.
4. Abschaffung der Steuerklassenkombination III/V
Die Abschaffung der Steuerklassenkombination III/V, die erst zum 1. Januar 2030 erfolgen soll, hält der Familienbund für einen tragfähigen Kompromiss in der seit Jahrzehnten geführten Debatte über die Geschlechtergerechtigkeit der Besteuerung von Ehen. In dieser Debatte wird oft die Kritik am Ehegattensplitting mit einer Kritik an der Steuerklassenkombination III/V vermischt. Die Steuerklassen sind aber unabhängig vom Ehegattensplitting und lassen sich reformieren, ohne dass sich etwas am Splittingeffekt und der Besteuerung ändert. Generell ändert die Wahl der Steuerklassen nichts an der letztendlichen Besteuerung. Die Steuerklassenkombination hat nur Einfluss darauf, wie viel Geld einem Ehepaar zunächst monatlich vom Einkommen bleibt und wie viel ggf. nach Abgabe einer Steuerklärung nachgezahlt werden muss oder rückerstattet wird.
Mit einer Reform der Steuerklassen wird keine Vorentscheidung über das Splitting getroffen. Daher ist es verfehlt, wenn in der Abschaffung der Steuerklassenkombination III/V ein „Einstieg in den Ausstieg aus dem Ehegattensplitting“[9] gesehen wird. Der Familienbund sieht in der Reform der Steuerklassen vielmehr die Chance, die Besteuerung von Ehen geschlechtergerechter zu gestalten und zugleich am Splitting festzuhalten. Denn das Ehegattensplitting bleibt die verfassungsmäßige und sachgerechte Besteuerung von Ehen: Nur das Splitting sichert eine familienmodellneutrale Besteuerung und gewährleistet, dass alle Ehen, die das gleiche Gesamteinkommen (und somit auch die gleiche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit) haben, gleich besteuert werden.[10]
Bei der Abschaffung der Steuerklassenkombination III/V überwiegen die Vorteile im Ergebnis die Nachteile. Diese Kombination führt zu einer steuerlichen Bevorzugung des besserverdienenden Ehepartners in der Steuerklasse III, bei dem die Grund- und Kinderfreibeträge berücksichtigt werden, und zu einer übermäßigen Besteuerung des geringer verdienenden Partners in der Steuerklasse V, der ohne Berücksichtigung der Freibeträge auch bei einem niedrigen Einkommen stark besteuert wird. Die enormen Steuerabzüge in der Steuerklasse V können zu dem Eindruck führen, dass sich Arbeit oder Mehrarbeit nicht lohnt. Hier setzt die Steuerklassenkombination III/V sehr ungünstige und demotivierende Anreize, die sich für das Gesamteinkommen der Familie nachteilig auswirken können. Wenn die Einkommensunterschiede nicht sehr groß sind und dennoch die Kombination III/V gewählt wird, ergeben sich unterschiedliche Besteuerungen, die man auf individueller Ebene als sehr ungerecht ansehen kann. Da die Regelung der Steuerklassen zwar geschlechtsneutral formuliert ist, aber in der Realität häufig Ehefrauen in der Steuerklasse V sind, spricht das Argument der Geschlechtergerechtigkeit für eine Reform der Steuerklassen.
Die mit der Abschaffung der Steuerklassenkombination III/V einhergehenden Nachteile wiegen demgegenüber weniger stark. Alleinverdienerfamilien können das Faktorverfahren so einstellen, dass sie im Ergebnis wie in der Steuerklassenkombination III/V besteuert werden. Hier halten sich die Nachteile in Grenzen. Für andere Ehepaare kann der Vorteil wegfallen, zunächst „mehr Netto vom Brutto“ zu haben, da durch die Berücksichtigung der Freibeträge beim Hauptverdiener in der Steuerklasse III die Steuerentlastung maximiert wird. Auch wenn sich das später mit der Steuererklärung durch eine Steuernachzahlung wieder ausgleicht, kann es für Familien, deren Haushalt „auf Kante genäht“ ist, ein Vorteil sein, einen zinslosen Kredit des Staates bis zur Abgabe der Steuererklärung zu bekommen. Allerdings sind steuerliche Rückzahlungsverpflichtungen für Familien mit kleinen Einkommen auch problematisch, da sie vorausschauende Finanzplanung erfordern.
Wenn ein Ehepaar nicht mehr die Steuerklassenkombination III/V nutzen kann, führt die Steuerklassenkombination IV/IV möglicherweise dazu, dass es zunächst zu viel Steuern zahlt und damit dem Staat einen zinslosen Kredit gibt. Dies kann durch die „Steuerklassenkombination IV/IV mit Faktor“ verhindert werden, bei dem die Besteuerung auf die Einkommensverteilung innerhalb der Ehe abgestimmt wird und anteilig unter Berücksichtigung des Splittingeffekts erfolgt. Das Faktorverfahren führt grundsätzlich zu einem gerechten Ergebnis. Steuernachzahlungen und -erstattungen nach Abgabe der Steuererklärung können weitgehend verhindert werden – wenn das Faktorverfahren richtig eingestellt ist. Nachteilig ist der erhöhte bürokratische Aufwand und die Notwendigkeit, bei Gehaltsveränderungen Anpassungen vorzunehmen.
Der Familienbund fordert, die verwaltungspraktische Durchführung der Steuerklassenkombination IV/IV mit Faktor (u.a. durch Digitalisierung) so zu vereinfachen und familienfreundlich zu gestalten, dass Änderungen unbürokratisch und einfach vorgenommen werden können. Denn es muss gewährleistet sein, dass das Faktorverfahren nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis das Ziel erreicht, die Besteuerung nach dem Splittingtarif realistisch zu berücksichtigen, damit Nachzahlungen und Rückerstattungen nach Abgabe der Steuererklärung vermieden werden.
Was in Zukunft nicht mehr möglich sein wird: Familien können nicht mehr beim absehbaren Bezug einer Lohnersatzleistung (z.B. des Elterngeldes) durch den Wechsel in die Steuerklasse III den Nettolohn erhöhen, um die Lohnersatzleistung zu steigern. Man kann aber kritisch fragen, ob es richtig ist, dass ein Steuersystem die Gestaltungsmöglichkeit einräumt, durch den Wechsel in eine (ggf. im Hinblick auf andere Umstände eher fernliegende) andere Steuerklasse eine staatliche Leistung zu optimieren – gerade auch vor dem Hintergrund, dass solche Möglichkeiten in der Gesellschaft sehr ungleich genutzt werden und zu Ergebnisungleichheiten führen. Generell wird ein Steuersystem gerechter, wenn man es vereinfacht und komplexe Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten einer allgemeinen Steuerentlastung reduziert. Daher führt dieser Nachteil nicht zu einem anderen Ergebnis. Unter dem Strich unterstützt der Familienbund die Reform der Steuerklassen.
[1] Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes (BEA).
[2] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 16. Januar 2024, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_020_611.html.
[3] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilungen Nr. 94 vom 12. März 2024 und Nr. 266 vom 11. Juli 2024, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/03/PD24_094_611.html, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/07/PD24_266_611.html.
[4] BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 10. November 1998, Az. 2 BvR 1057/91, vgl. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/1998/11/rs19981110_2bvr105791.html.
[5] BT-Drucks. 13/1558 vom 31. Mai 1995 und Plenarprotokoll 13/42 vom 2. Juni 1995.
[6] Lindner, Tagesspiegel (25.04.2024), https://www.tagesspiegel.de/politik/schon-uberproportional-erhoht-lindner-will-kindergelderhohung-erst-wieder-2025-11569907.html.
[7] Meldung der Bundesregierung vom 25.11.2022, vgl. https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/deutliche-kindergelderhoehung-2141952 (abgerufen am 17.07.2024).
[8] Lindner: "Das Wesentliche für die Kindergrundsicherung ist damit finanziell getan.", https://www.zdf.de/nachrichten/politik/lindner-kindergrundsicherung-ampel-koalition-100.html (abgerufen am 17.07.2024).
[9] So die Formulierung in: 9. Familienbericht, Eltern sein in Deutschland, S. 520 f.
[10] Fachinformation des Familienbundes zum Ehegattensplitting (aktualisierte Fassung 2023) https://www.familienbund.org/publikationen/fachinformationen/fachinformation-zum-ehegattensplitting.
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