13.05.2025 / Lesedauer: ca. 5 Minuten
Kommentar zum 10. Familienbericht: Ökonomische Eigenständigkeit beider Elternteile und zeitpolitische Rahmung - von Ulrich Hoffmann
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Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Beblo, sehr geehrte Frau Prof. Dr. Kreyenfeld, Liebe Anwesende,
die Veranstaltung ist inzwischen etwas fortgeschritten. So langsam merken auch wir hier leibhaftig, dass Zeit eine tragende Säule ist - nicht nur in der Familienpolitik, sondern auch für die eigene Konzentration und Aufmerksamkeit. Ich werde mich daher kurzfassen und das Augenmerk vor allem auf die Handlungsempfehlungen des Berichts legen. Dabei wird es vor allem, dem Titel entsprechend, um Zeit und Geld gehen. Denn der Familienbericht macht an mehreren Stellen deutlich, dass auch in der Familienpolitik zunehmend Zeit Geld ist.
Der 10. Familienbericht stellt die Allein- und Getrennterziehenden in den Mittelpunkt, mit dem Ziel, ihre besonderen Herausforderungen und Bedürfnisse zu erfassen und daraus eine zielgenaue Politik für diese in der Tat vielfach geforderten Familien abzuleiten.
Allein für das erstellte und äußerst umfangreiche Lagebild zur Situation von Alleinerziehenden im Gutachten ist der Kommission nochmals ausdrücklich zu danken.
Es ist jedoch interessant zu verfolgen, wie der Bericht doch immer wieder den Bogen zu allen Familien schlägt. Und damit weit mehr ist als ein Familienbericht für Alleinerziehende.
Das hat vor allem einen Grund: in der Absicht, die Situation Alleinerziehender zu verbessern, fordert der Bericht die ökonomische Unabhängigkeit von Müttern wie Vätern für alle und zu jeder Zeit. Diese als „Lebenslaufkonsistenz“ bezeichnete Forderung ist der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Berichts. Beinahe alle Forderungen bauen auf diesem Kernsatz auf. Und weil diese Leitlinie nicht erst bei Trennung und Scheidung greifen soll, sondern im Vorhinein - ex ante, wie es der Bericht nennt - werden automatisch alle Familien zum Gegenstand des Berichts.
Aus der Priorisierung der ökonomischen Unabhängigkeit folgt auch eine weitgehende Ökonomisierung von Familienpolitik. Angelehnt an einen häufig benutzten Ausspruch drängt sich für weite Teile der Ausführungen das Motto auf: „familiengerecht ist, was Arbeit schafft“.
Bei aller Anerkennung der intensiven Bemühungen der Kommission: Ist das tatsächlich eine Schlussfolgerung im Interesse der Familien?
Verbunden mit einer fortlaufenden ökonomischen Unabhängigkeit ist zudem ein zweites Ziel: die egalitäre Verteilung von Sorgearbeit. Im Windschatten dieser zwei Kernziele erhebt der Familienbericht allein den paritätisch gestalteten Familienalltag zum neuen Ideal. Verdeckt von den schönen Begriffen Freiheit und Gleichstellung geht damit jedoch viel verloren: nämlich die Entscheidungsfreiheit und Vielfalt der Familien.
Um Missverständnisse zu vermeiden: natürlich sollen und müssen Mütter wie Väter dabei unterstützt werden, entsprechend ihren Wünschen und Bedarfen berufstätig sein zu können. Der Bericht nimmt jedoch auf diesen wichtigen Zusatz – „nach ihren Wünschen" – kaum noch Rücksicht.
Das zeigt sich deutlich bei den Vorschlägen zur Neuregelung der Elternzeit:
Der 10. Familienbericht knüpft hier wie bei anderen Themen auch an seinen Vorgänger, den 9. Familienbericht, an. Vorgeschlagen wird erneut ein 3 plus 8 plus 3 Modell. Für Familien ist damit kein Mehr an Zeit vorgesehen, denn auch das ergibt ein Maximum von 14 Monaten, wie bisher. Dem Familienbericht hätte mehr Mut an dieser Stelle gut gestanden. Gerade ohne die haushalterische Verantwortung der Politik hätte er hier ein Zeichen setzen und an großzügige Forderungen der Parteien, insbesondere von LINKEN, GRÜNEN und SPD anknüpfen können.[1] Allerdings galt das wohl als ein Widerspruch zu den Leitlinien des Berichts.
Positiv hervorzuheben ist, dass der Mindest- und Höchstbetrag für das Elterngeld angehoben werden sollen (400 € / 2.400€) und eine fortlaufende Anpassung der Eckwerte eingefordert wird. Mit Blick auf die fehlende Anhebung dieser Rahmengrößen seit 2007 tritt der Familienbund hierfür seit langem ein. Wir halten jedoch für die notwendige Inflationsanpassung ein Mindestelterngeld von 500 Euro für notwendig.
Der Bericht schlägt auch vor, die Lohnersatzrate auf 80 Prozent anzuheben, allerdings nur für 7 Monate pro Elternteil. Für jeden weiteren Monat soll die Rate auf 50 Prozent sinken.
Nach diesen Vorschlägen erhält jeder Elternteil 7 Monate Elternzeit, 3 davon sind exklusiv zugeordnet, so wie heute die zwei Partnermonate. Damit gäbe es einen Partnermonat mehr als bisher – zu Lasten eines frei übertragbaren Monats.
Diese Veränderung tritt jedoch in den Hintergrund, da im Rahmen der Gleichverteilung der Sorgearbeit Größeres angestrebt wird: erstmals wären Elterngeldmonate nicht mehr für alle Familien gleich viel wert. Nur, wer sich die Elternzeit genau gleich aufteilen kann, indem beide Eltern 7 Monate nehmen, erhält das Elterngeld für die vollen 14 Monate in maximaler Höhe, d.h. mit einem Lohnersatz von 80 Prozent. Teilen Eltern die 14 Monate ungleich untereinander auf, können sie für 10 bis maximal 13 Monate 80 Prozent Einkommensersatz erhalten[2], während die restlichen Monate nur mit 50 Prozent vergolten werden. Alleinerziehende erhalten in diesem Modell ebenfalls einen Anspruch auf die vollen 14 Monate, wobei jedoch nur 11 Monate mit der erhöhten Lohnersatzrate vergütet werden.
Obwohl der Bericht durchweg von familiärer Vielfalt spricht und diese fördern will, wird er hier dem eigenen Anspruch nicht gerecht. Denn er fördert damit vor allem ein Modell von Familie. Der Fokus auf Parität ist konsequent gemessen an den Zielen des Berichts – aber es entspricht in der Mehrzahl der Fälle weder den realen Möglichkeiten noch den Wünschen von Familien.
Bei der Elternzeit nehmen Mütter konstant den Großteil der Zeit in Anspruch, die Bezugsdauer von Vätern liegt bei knapp unter 4 Monaten, einschließlich des verlängerten Elterngeld-Plus-Bezugs. Auch bei der Erwerbsarbeit leben fast 70 Prozent der Familien das Modell Vollzeit/ Teilzeit. Nach wie vor ist das auch die von Familien bevorzugte Lösung. Eine Teilzeitarbeit für Mütter mit minderjährigen Kindern wird auch in der Bevölkerung als Ideal angesehen. Wobei sich Eltern dabei für einen deutlich geringeren Arbeitsumfang aussprechen als Nicht-Eltern. Eine gemeinsame Voll- oder Teilzeit hält weniger als die Hälfte der Familien für erstrebenswert und nur ein Viertel der Familien lebt danach.[3]
Damit wird die rechtliche Gestaltungsfreiheit der Familien eingeschränkt, während die tatsächliche Gestaltungsfreiheit von Familien stark überschätzt wird:
Entscheidungen zur Aufgabenverteilung, zur Ausweitung oder Verkürzung von Erwerbsarbeit fallen immer auch im Kontext externer Gegebenheit. Vielen Familien wird es z.B. schlicht nicht möglich sein, 7 Monate lang auf das volle Einkommen der oder des Hauptverdienenden zu verzichten. Auch nicht bei einer erhöhten Lohnersatzrate.
Auch Gründe, die beim Kind liegen, können dagegensprechen: Ein Kind im 7. oder 8. Lebensmonat wird häufig noch nachts wach und teilweise gestillt. Wer kann verdenken, dass vor allem Mütter sich einer zusätzlichen Erwerbstätigkeit da vielleicht noch nicht gewachsen fühlen? Ganz abgesehen von Kindern mit besonderen Unterstützungs- und Betreuungsbedarfen. Auch der Wunsch, 12 Monate beim Kind zu bleiben, sollte nicht mit finanziellen Einbußen bestraft werden. Eine Verkürzung der regelfinanzierten Elternzeit auf unter 12 Monate erscheint auch mit Blick auf die nachfolgende Betreuung fraglich: wenn Eltern bei fehlender paritätischer Sorgearbeit weniger Geld bekommen, kann das zur Folge haben, dass sie früher in den Beruf zurückwechseln müssen oder wollen. Der Rechtsanspruch auf Betreuung greift jedoch erst ab dem vollendeten 12. Monat. Zur Frage, wie damit umzugehen ist, bleibt der Bericht der Mehrheit der Paarfamilien wie den Alleinerziehenden eine Antwort schuldig. Denn er hält am Rechtsanspruch ab dem vollendeten ersten Lebensjahr fest.
Konsequent dagegen ist die Forderung nach einem deutlichen Ausbau der Kinderbetreuung. Der Bericht sagt selbst, dass das Ziel „einer Stärkung ökonomischer Eigenständigkeit ohne diese „gehaltlos und kaum umsetzbar“ sei.
Allerdings ist mehr als fraglich, ob die vom Bericht geforderte Ausweitung der Ganztagsbetreuung, mit einem Rechtsanspruch auf 8 Stunden Betreuung an allen fünf Werktagen, diese Erwartung in absehbarer Zeit erfüllen kann. Grund hierfür ist der auch von der Kommission kritisch betrachtete Fachkräftemangel. Ich erinnere mich an viele Zeitungsartikel der vergangenen Monate, wo mit Blick auf die Kitas immer wieder vor dem drohenden „Kollaps des Systems" gewarnt wurde. Ähnliches gilt für die Schulen, auch wenn in beiden Bereichen bereits große Anstrengungen für Verbesserungen unternommen werden.
Eine qualitativ hochwertige Betreuung konnte jedenfalls oft nicht geleistet werden, trotz großer Bemühungen des verbliebenen Personals. Vor einem weiteren Ausbau der Kitas und Schulen muss daher zwingend die Frage nach den dafür nötigen Fachkräften geklärt werden.
Ein Rechtsanspruch schafft zudem immer die Erwartung - nicht zuletzt seitens der Arbeitgeber - ihn auch in Anspruch zu nehmen.
Jenseits aller Personal- und Betreuungsschlüssel sollten wir klären, was eigentlich eine hohe Qualität ausmacht. Welche Bildung, Bindung und welches Miteinander sollen Kinder lernen? Was brauchen sie für ein gutes Aufwachsen? Darauf müssen wir in der weiteren Debatte mehr Wert legen, auch angesichts aktueller Herausforderungen in puncto Demokratie und Nachhaltigkeit. Dazu sagt der Bericht erstaunlich wenig. Von der Zusammenlegung von Bildungs- und Familienministerium könnten hierzu wichtige Impulse ausgehen.
Als Notlösung zur Vergabe der knappen Kita-Plätze schlägt die Kommission neben einem zentralen Vergabeinstrument auch einen Vorrang für Alleinerziehende vor. Das ist mit Blick auf den Mangel und die Zielgruppe des Berichts teils verständlich und vor allem eingängig, reproduziert aber jene „klassische“ Rollenzuschreibung, die der Bericht im historischen Rückblick selbst kritisiert: Sollte dieser Vorrang zur Anwendung kommen, werden Paarfamilien zumindest zeitweise in die Rolle des Alleinverdienermodells bzw. der privaten Betreuungslösungen zurückgedrängt.
Familien gegen andere Familien auszuspielen war noch nie eine gute Idee. Auf diese Weise könnte es zudem lohnender sein, nicht bereits wie jetzt schon vor der Entbindung einen Kitaplatz zu suchen, sondern – sehen Sie mir die Überspitzung nach – sich auch noch zu trennen, um die Chancen auf einen solchen Platz zu erhöhen.
Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir zuerst den Mangel beseitigen, bevor wir weitere Rechtsansprüche formulieren.
Insgesamt erhöht das Streben nach ökonomischer Unabhängigkeit sowie nach einer egalitären Aufgabenverteilung vor allem den Druck auf Familien. Ein Druck, der sich schon in der Familienpolitik der vergangenen Jahre kontinuierlich erhöht hat: ein höherer Erwerbsumfang, insbesondere von Müttern, wird seit 2005 von der Familienpolitik forciert. Sowohl das Elterngeld (2007 eingeführt), der Ausbau der Betreuungsangebote und der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz hatten bereits die Förderung eines schnellen beruflichen Wiedereinstiegs zum Ziel. Seitdem werden Mütter von der Politik zunehmend offensiv als potenzielle Arbeitskräfte umworben. Entsprechend heißt es auch im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD geradeheraus: „Die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen ist ein entscheidender Faktor zur Fachkräftesicherung."
Dabei hat sich die Erwerbstätigkeit von Müttern zwischen 2006 und 2022 bereits deutlich erhöht. Sie ist in diesem Zeitraum um 13 Prozent gestiegen, vor allem im Bereich der sogenannten „großen Teilzeit" ab 28 Wochenstunden. Gegenwärtig sind 69 Prozent aller Mütter erwerbstätig, bei Alleinerziehenden sind es sogar 72 Prozent.[4] Diese Daten zeigen auch, dass das immer wieder kritisierte Ehegattensplitting die Erwerbstätigkeit von Müttern nicht verhindert.
Es gäbe zu all dem noch sehr viel zu sagen. 10 Minuten sind angesichts der Fülle an Themen doch eine überraschend kurze Zeit. Da aber nicht nur in der Familienpolitik, sondern auch bei Veranstaltungen eine verlässliche Zeitpolitik wichtig ist, möchte ich als Schlusspunkt wenigstens noch zwei zentrale Punkte ansprechen:
Der 10. Familienbericht denkt Familie vor allem vom Ende her – vom Eintreten des Endes der Partnerschaft. Negative Folgen des Verlusts von Partner oder Partnerin, sei es durch Trennung oder Scheidung oder auch Tod, sollen durch eine dauerhafte Unabhängigkeit bereits im Vorfeld vermieden werden. Das aber bedeutet, dass Paare das Scheitern ihrer Beziehung nicht nur mitdenken, sondern es von Anfang an zum Ausgangspunkt ihres Handelns machen sollen. Das erscheint mit Blick auf die Strukturen und Bedeutung von Familie in der Realität doch sehr zweifelhaft.
Und zweitens: Wir sollten Familienpolitik nicht zu einer „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ für Eltern machen. Der rein wirtschaftliche Ansatz setzt zur Lösung herausfordernder Lebenssituationen vorrangig auf die individuelle Ebene jeder einzelnen Familie - und lässt sie dabei mit den gegenwärtig fehlenden Strukturen allein. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Referenzland Schweden.
Der Fokus auf vermeintliche ökonomische Freiheit führt für die Mehrheit der Familien zu erheblichen Zwängen. Wir sollten stattdessen für die Entscheidungsfreiheit von Familien eintreten und deren Vielfalt anerkennen. Und das nicht erst in den Betreuungsarrangements nach der Trennung, sondern auch schon davor.
[1] Die GRÜNEN forderten zur Bundestagswahl 2021 jeweils 8 Monate für Mütter und Väter sowie 8 frei übertragbare Monate („8+8+8“). Die LINKE forderte 12 Monate für Mütter und 12 Monate für Väter. Zur Bundestagswahl 2025 forderte die SPD 6 Monate für Mütter, 6 Monate für Väter und 6 frei übertragbare Monate („6+6+6“).
[2] Abhängig davon, wie stark sich die Verteilung der Monate unterscheidet. Nimmt ein Elternteil alle frei aufteilbaren Monate, fällt die mit 80 Prozent vergütete Elternzeit für das Paar mit 10 Monaten am geringsten aus (Monate Elternteil A 3 Monate Elternteil B) mit einem Lohnersatz.
[3] Vgl. zur Elternzeit Bundesamt für Statistik PM 25. März 2025, Allensbach 2022, Familienreport 2024, FReDA Kinderwunsch u. Care-Arbeit 2024, S. 14; Sozialbericht 2024
[4] Familienreport 2024, 10. Familienbericht
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