Zehn-Punkte-Plan des Familienbundes der Katholiken
Die Corona-Pandemie hat Familien besonders hart getroffen, insbesondere während der Phase des Lockdowns im Frühjahr 2020: Die monatelange Parallelisierung von Kinderbetreuung, Homeschooling, Homeoffice, Kochen und Haushalt haben viele Familien an den Rand der Belastungsgrenze gebracht. Die Zeit hat aber auch gezeigt: Kinder sind in Familien in aller Regel gut aufgehoben. Wenn die staatlichen Institutionen wie Kita und Schule ausfallen, können Kinder auch zu Hause betreut und beschult werden. Das bestätigen auch Umfragen unter Eltern: Zwar findet die Mehrheit der befragten Eltern, dass die eigene Familie gut mit der Schulschließung umging. Trotzdem geben 38 Prozent an, dass die Situation für ihr Kind oder für sie eine große psychische Belastung war. Daran hatte auch das gleichzeitige Arbeiten im Homeoffice vielfach einen großen Anteil. Es hat in der Praxis deutlich gemacht: Homeoffice ist kein Betreuungsmodell, sondern eine zusätzliche Belastung, die den Ansprüchen von Familie unter den Bedingungen eines Lockdowns nicht gerecht wird. Gezeigt hat sich vor allem: Familien sind als die kleinsten gesellschaftlichen Einheiten unverzichtbar, wenn der Staat an seine Grenzen stößt.
Familie in Zeiten von Corona erfordert von den Eltern deutlich mehr Kraft und Motivation, Improvisationskunst und Ausdauer, von den Kindern vor allem das Aus- und Durchhalten, ein Leben auch mit weitreichendem Verzicht auf soziale Grundbedürfnisse führen zu müssen: ohne geregelten Schul- und Kitatag, ohne persönlichen Kontakt zu Lehrern und Erziehern, ohne die Begegnung mit den Freunden, ja, mitunter auch ohne den lieb gewordenen Besuch des Spielplatzes.
Die Corona-Krise verschärft wie unter einem Brennglas ohnehin bestehende strukturelle Probleme von Eltern
Die Corona-Pandemie fordert uns alle mehr denn je. Sinkende Temperaturen und drastisch steigende Infektionszahlen bereiten Familien gerade jetzt einen „heißen“ Herbst und voraussichtlich auch Winter – mit neuerlichen ungeahnten Herausforderungen. Auch das Jahr 2021 wird im Zeichen der Überwindung der Pandemie stehen. Angesichts der vor uns liegenden Strecke im familienpraktischen Umgang mit Corona brauchen Familien umfangreiche politische Unterstützung. Jede Familie kann ihre Erziehungs- und Organisationsarbeit im Dienste der Gesellschaft nur in dem Maße entfalten, wie es der gesellschaftspolitische Rahmen ihr ermöglicht. Hinzu kommt: Die Corona-Krise verschärft wie unter einem Brennglas ohnehin bestehende strukturelle Probleme von Eltern wie den zunehmenden Zeitdruck und die häusliche Bildung bei Familien mit Unterstützungsbedarf.
In Zeiten der Pandemie sind Familien besonders belastet und brauchen unser aller Solidarität und Unterstützung. Familien dürfen nicht zu den besonderen Verlierern der Pandemie werden. Das ist eine Frage des Respekts. Für die Politik heißt das: ein besonderes familien- und bildungspolitisches Augenmaß. Die Politik ist eindringlich aufgerufen, alles zu unternehmen, um einen neuerlichen familien-, betreuungs- und bildungspolitischen Lockdown zu Lasten von Familien zu verhindern, die Arbeitsplätze von Eltern zu erhalten, Lohneinbußen durch Kurzarbeit zu kompensieren, den finanziellen Mehraufwand zu entschädigen und zusätzliche zeitliche Freiräume zu ermöglichen. Kinder und Jugendliche haben auch in Zeiten einer Pandemie das Recht, ihrem Alter gemäß geistig und körperlich gefördert zu werden.
Die Familie als Leistungsträger der Gesellschaft ist in der Corona-Krise stark unter Druck geraten. Das hat die Bundesregierung in ihrem Krisenmanagement erst spät entdeckt – zu spät. Die von der Koalition dazu später aufgelegten Maßnahmen waren vielfach unzureichend. Der Familienbund der Katholiken fordert: Die Politik muss ihrer Verantwortung für Familien gerecht werden. Dafür braucht es einen nationalen Familiengipfel. Klar ist schon heute: Investitionen in Eltern und Familien lohnen sich immer, nicht nur aus gesellschaftspolitischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht: Mit im Verhältnis überschaubaren Finanzmitteln tragen Familien wesentlich dazu bei, das Schwungrad der Gesellschaft langfristig am Laufen zu halten. Den dafür nötigen Handlungsrahmen stellt der Familienbund der Katholiken auf den folgenden Seiten in seinem Zehn-Punkte-Plan vor. Denn auch in der Corona-Krise gilt: Ohne Familie ist kein Staat zu machen!
1. Nationaler Familiengipfel gefordert
- Die Politik muss die hoch belastete Situation von Familien in der Corona-Krise verstärkt in einer Gesamtstrategie in den Blick nehmen. Der Familienbund der Katholiken fordert deshalb einen nationalen Familiengipfel: Bundesfamilien- und Bundesbildungsministerium sind gemeinsam mit den Ländern aufgefordert, Leitlinien für mehr Geld und Personal an Schulen und Kitas zu formulieren. Sie sind seit Monaten ebenso überfällig wie eine grundlegende und einheitliche Digitalisierung von Schulen, um den Schulbetrieb auch in Phasen von möglichen Schulschließungen aufrecht erhalten zu können. Dafür braucht es auch kreative und lebensnahe Konzepte. Vor allem gilt es aber, Familien auch unter den aktuell deutlich erschwerten Lebensbedingungen einen angemessenen Rahmen zu schaffen, in dem Familie menschlich lebbar bleibt.
2. Verlässlicher Betrieb von Kita und Schule
- Verlässlichkeit für Familien bei der Kinderbetreuung, der frühkindlichen und schulischen Bildung ist auch in Zeiten einer Pandemie unerlässlich. Eine flächendeckende Schließung der Kitas und Schulen darf sich deshalb nicht wiederholen. Bildung und Betreuung müssen krisenfest aufgestellt werden und Vorrang haben. Familien brauchen deutschlandweit ein verlässliches Schul- und Kitaangebot. Das Gesamtsystem Schule und Kita muss – selbstverständlich mit Hygiene- und Schutzkonzepten – funktionieren.
- Sollten neuerliche Schließungen von Einrichtungen aufgrund zahlreicher Infektionsfälle nötig sein, muss der fortlaufende Betrieb von Kitas und Schulen Vorrang haben vor anderen Gesellschaftsbereichen wie Handel, öffentlichen Großveranstaltungen oder privaten Feiern.
- Eine gesunde und regelmäßige Ernährung ist für Kinder unverzichtbar: Im Fall von Schul- und Kitaschließungen müssen Kinder im Rahmen des sogenannten Bildungspakets weiterhin mit Mittagessen versorgt werden. Auch diese Regelung muss bis Ende 2021 verlängert werden.
3. Corona-Elternzeit: die stark gestiegenen Anforderungen bewältigen
- Sollten Kitas und Schulen nicht mehr im Regelbetrieb arbeiten oder wieder schließen, brauchen Eltern einen Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduzierung. Nötig ist die Einführung einer Corona-Elternzeit, die Müttern und Vätern mit Kindern bis zu 14 Jahren gegenüber ihren Arbeitgebern das Recht gibt, ihre Arbeitszeit so weit zu reduzieren, wie es für die Bewältigung der stark gestiegenen familiären Anforderungen nötig ist. Dazu gehört auch ein angemessenes Rückkehrrecht in den alten Arbeitsumfang und ein fortbestehender Kündigungsschutz.
4. Corona-Elterngeld von monatlich mindestens 300 Euro
- Eltern, die die Corona-Elternzeit in Anspruch nehmen, müssen wegen der damit verbundenen Gehaltseinbußen auch finanziell unterstützt werden. Der Familienbund der Katholiken hält deshalb ein monatliches Corona-Elterngeld für nötig. Es berechnet sich als Lohnersatzleistung prozentual aus dem bisherigen Einkommen der Eltern, sollte aber mindestens 300 Euro betragen. Anders als der von der Koalition beschlossene „Kinderbonus“ wird das Corona-Elterngeld nicht mit dem Kinderfreibetrag verrechnet. Eine solche Leistung trägt dazu bei, die besonderen familialen Belastungen aller Familien während der pandemiebedingten Schul- und Kitaschließungen zu kompensieren – kontinuierlich, familiengerecht und angemessen. Das würde Familien helfen und die Eltern als große unsichtbare Leistungsträger in der Corona-Krise honorieren.
5. Kurzarbeitergeld an die Lebenswirklichkeit von Familien anpassen
- Das Instrument der Kurzarbeit hat sich bewährt, um Arbeitsplätze zu erhalten. Die Höhe des Kurzarbeitergeldes bei Arbeitnehmern muss sich aber an der Zahl der Kinder orientieren. Eltern mit mehreren Kindern sind auch mit höheren Ausgaben aufgrund der Lebensmittelversorgung oder auch der Größe des benötigten Wohnraumes konfrontiert. Das Kurzarbeitergeld muss der ökonomischen Lebenswirklichkeit von Familien gerecht werden und muss deshalb dringend angepasst werden. Das Kurzarbeitergeld für Eltern muss mindestens eine Höhe von 80 Prozent des Gehalts haben, nach der Kinderzahl gestaffelt sein und ab dem dritten Kind das bisherige Einkommen komplett ersetzen.
6. Kinderkrankentage fortführen, anheben und Obergrenze beseitigen
- Die Koalition hat beschlossen, dass gesetzlich Versicherte für die Betreuung erkrankter Kinder in diesem Jahr mehr Krankentage bekommen: Für Elternpaare sind jeweils fünf zusätzliche Tage vorgesehen, für Alleinerziehende zehn. Das ist sinnvoll. Die Pandemie wird aber auch im Jahr 2021 noch nicht überwunden sein. Weil absehbar ist, dass in dieser angespannten Zeit viel mehr Kinder aufgrund von Erkrankungen die Schule oder die Kita nicht besuchen können, ist eine Aufstockung der Kinderkrankentage für das nächste Jahr auf 20 Kinderkrankentage für Mütter und Väter nötig. Die heute bestehende Obergrenze von höchstens 35 Kinderkrankentagen pro Elternteil benachteiligt bereits heute kinderreiche Familien ab dem dritten Kind. Das ist nicht zu rechtfertigen. Diese Regelung muss deshalb gestrichen werden.
7. Sorgearbeit durch Corona-Pflegezeit und -Pflegegeld ermöglichen
- Dreiviertel der Pflege findet im häuslichen Rahmen statt. Viele Familien sind dennoch auf eine ambulante Pflegeinfrastruktur angewiesen. Unter den Bedingungen von Corona kann die Pflegeinfrastruktur leicht fragil werden oder ganz ausfallen. Ein Quarantänefall kann dafür reichen. Wer aufgrund einer ausfallenden Pflegeinfrastruktur Angehörige pflegt, sollte Anspruch haben auf eine Corona-Pflegezeit und auf Corona-Pflegegeld analog zur Elternzeit und zum Elterngeld bei pandemiebedingten Schließungen von Schulen und Kitas (s. Punkt 1). Hierdurch wäre insbesondere auch Eltern geholfen, die sich in einer „Sandwichposition“ befinden und sowohl für die eigenen Kinder als auch die Eltern sorgen. Denn die Sorgearbeit für Menschen ist altersunabhängig gleich viel wert, am Lebensanfang wie am Lebensende.
8. Kind- und familiengerechtes Leben auch unter Quarantänebedingungen
- Kinder, die vorübergehend in häuslicher Quarantäne leben, müssen auch weiter das Recht auf eine kind- und familiengerechte Lebensweise haben. Auch unter den Bedingungen von Quarantäne, die den sozialen Kontakt von Menschen ohnehin stark einschränken, müssen die Pflege von Beziehungen und menschliche Nähe Vorrang haben. Familie ist eine unverfügbare menschliche Einheit, die nicht gegen ihren Willen getrennt werden darf, auch nicht für den Infektionsschutz.
9. Stärkere Förderung von Familienbildung, Familienerholung und Kurkliniken
- Eltern und ihre Kinder brauchen gerade jetzt mehr denn je auch Phasen der Erholung, Regeneration und familienpraktische Informationen. Die Angebote der Familienbildung und der Familienerholung müssen in der Coronazeit und danach verstärkt bezuschusst werden. Sie sind durch die Corona-Krise vielfach in eine empfindliche wirtschaftliche Schieflage geraten. Das gilt auch für Kurkliniken für Mütter und Väter. Ab Ende September 2020 fallen medizinische Vorsorge- und Rehamaßnahmen für Eltern, Kinder und pflegende Angehörige aus dem Rettungsschirm der Bundesregierung. Die Folge: Kliniken erhalten kein Ausfallgeld mehr für Kurplätze, die aufgrund der Corona-Infektionsschutzmaßnehmen nicht vergeben werden können. Das ist dringend nötig, um diese Infrastruktur zu erhalten. Angesichts der großen Nachfrage nach stationären Kurmaßnahmen durch die hohen Belastungen gerade auch für Eltern und ihre Kinder in der Corona-Krise fordert der Familienbund der Katholiken die Bundesregierung nachdrücklich auf, den Rettungsschirm für Familienkuren rasch um ein Jahr zu verlängern. Von fehlenden Kurplätzen betroffen sind auch tausende kurbedürftige Mütter, mit erheblichen gesundheitlichen Problemen. Für viele Kliniken sind die finanziellen Einschnitte durch die anhaltende Corona-Krise inzwischen existenzbedrohend. Die Verluste können die Häuser selbst nicht kompensieren.
10. Alte Menschen dürfen nicht vereinsamen
- Es ist von enormer Bedeutung, dass alte, schwache und kranke Menschen auch in Zeiten von Corona nicht vereinsamen. Wer in Not- und Ausnahmesituationen Nähe und Trost sucht, hat auch ein Recht auf Begegnung und Halt. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit. Bei allen Maßnahmen zum Infektionsschutz haben die Politik und Einrichtungen, die sich um alte Menschen sorgen, diesem Grundbedürfnis Rechnung zu tragen.