In der Gerechtigkeitsdebatte fordert der frühere langjährige Caritas-Generalsekretär Georg Cremer einen genaueren Blick auf positive Entwicklungen und Missstände. Er kritisierte, dass es in der Debatte Akteure gebe, die als "Virtuosen auf dem Klavier der Empörung ein sehr eingespieltes Stück" spielten. Cremer äußerte sich am Montag in Berlin bei der Vorstellung seines neuen Buches "Deutschland ist gerechter als wir meinen", zusammen mit Ex-SPD-Chef Franz Müntefering. Wenn soziale Leistungen wie Wohngeld oder die Grundsicherung verbessert würden, gebe es natürlich mehr Empfänger, erklärte der frühere Generalsekretär des katholischen Wohlfahrtsverbands. Zugleich werde dieser Umstand dann aber öffentlich beklagt. Verbände müssten - auch vor dem Hintergrund eines zunehmenden Populismus - kritischer damit umgehen, verlangte Cremer. "Es muss auch mal ein Reputationsrisiko geben, wenn ich faktenwidrig Dinge zuspitze." Andere Akteure sollten dann auch mal widersprechen. Beispielhaft argumentierte Cremer mit der Grundsicherung für Kinder. Man könne eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung einführen, die dann anders heiße und von der Familienkasse bezahlt werde. "Möglicherweise ist das Empörungspotenzial dann geringer", meinte der Armutsexperte. Niemand würde sich hinstellen und beklagen, dass 100.000 Familien mehr Kindergeld bekämen, bei Hartz IV hingegen wäre es so. Cremer wie auch Müntefering forderten unter anderem mehr Gerechtigkeit in der Bildung. Der ExSPD-Chef sprach von einer "Befähigungsgerechtigkeit". Bildung sei die Chance auf einen Anteil am allgemeinen Wohlstand. Es werde zu wenig in die Menschen investiert. Müntefering wies zugleich daraufhin, dass Cremer wie auch schon Karl Marx einen Punkt nicht thematisiert habe: Es gebe 22 Millionen ehrenamtlich Engagierte in Deutschland, auf deren Arbeit die Gesellschaft auch angewiesen sei. Neben Gerechtigkeit brauche es ebenfalls Solidarität. Autor Cremer will mit seinem Buch nach eigenem Bekunden ein anderes Bild als das des oft beklagten neoliberalen Rückzugs des Sozialstaats vermitteln. Als Beispiele für positive Entwicklungen nannte er die Pflege, die sich seit Einführung der Pflegeversicherung verbessert habe, die Kinderbetreuung und die Hilfe für Behinderte.
Der katholische Politikwissenschaftler und Publizist Andreas Püttmann befürwortet den Ausschluss von AfD-Politikern auf den Podien des Evangelischen Kirchentags 2019. "Die Opfer rechtspopulistischer Hetze dürfen ihren Peinigern nicht auch noch auf Christentreffen ausgesetzt werden", schreibt Püttmann in einem Gastbeitrag der "Süddeutschen Zeitung" (Montag). Ende September hatte der Kirchentag einen Auftritts-Boykott von AfD-Politikern bei dem Treffen beschlossen, das vom 19. bis 23. Juni 2019 in Dortmund stattfinden wird. In Bezug auf das "Toleranz-Paradoxon" des österreichisch-britischen Philosophen Karl Popper von 1945 verteidigte Püttmann die Position des Kirchentags: "Teilnahme am Kirchentag für jeden, unabhängig von Parteibuch oder Gesinnung, aber kein Podium für AfD-Funktionäre." Uneingeschränkte Toleranz vernichte die Toleranten. Ein "Wir können ja mal drüber reden" sei fehl am Platz, "nicht nur bei Kirchen- und Katholikentagen, sondern in jedem Raum unter dem Zeichen des Kreuzes". Püttmann beklagte zugleich, dass beim Katholikentag im vergangenen Mai in Münster der kirchenpolitische Sprecher der AfD, Volker Münz, eingeladen worden war. Dies sei eine "Rolle rückwärts" gewesen. Denn beim Leipziger Katholikentag 2016 habe es auch ohne AfD-Redner nicht an Auseinandersetzung mit dem Rechtsruck in Europa gemangelt. (Familienbund der Katholiken/Sascha Nicolai/KNA)