Stellungnahme der Föderation der Katholischen Familienverbände in Europa (FAFCE)

· Stellungnahmen

„Überarbeitung der geltenden Rechtsvorschriften zu ermäßigten Mehrwertsteuersätzen“ (TAXUD/D/24232)

 

1) Grundsätzliche Erwägungen

Die Föderation der Katholischen Familienverbände in Europa (FAFCE), in der 16 Familienorganisationen aus 14 europäischen Staaten mitarbeiten, vertritt auf europäischer Ebene die Interessen nicht nur der katholischen Familien<.

Als FAFCE setzen wir uns für ein europäisches Mainstreaming für Familien ein.
Angesichts der demografischen Lage Europas ist deutlich geworden, dass nur eine nachhaltige ganzheitliche Familienpolitik, die sich an einem Bündel von Maßnahmen orientiert, erfolgreich ist. Die auf europäischer Ebene vorherrschende Fokussierung auf die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird allein nicht zum Erfolg führen.

Stabile Familien sind das soziale Kapital Europas. Sie brauchen den umfassenden rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz, wie es in der Charta der Grundrechte (Art. 33) festgeschrieben ist. Um dies zu gewährleisten, bedarf es in allen Politikbereichen einen Perspektivwechsel zu Gunsten der Familie, dies gilt insbesondere auch auf der europäischen Ebene. So müssen die Interessen der Familien im Bereich der Überarbeitung der geltenden Rechtsvorschriften zu ermäßigten Mehrwertsteuersätzen klar benannt werden. Denn Familien benötigen neben vielen anderen Maßnahmen eine stabile finanzielle Grundlage.

Wir begrüßen die Bereitschaft der Europäischen Kommission, eine breite Diskussion zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu führen, um eine zukunftsorientierte Grundlage und Kriterien für die reduzierten Mehrwertsteuersätze zu schaffen. Ebenso begrüßen wir, dass in dem für dieses Jahr geplanten Legislativvorschlag bereits ermäßigte Sätze aufgenommen werden können, für die bereits eine Grundlage besteht.

Gemeinsam mit anderen europäischen und nationalen Familienverbänden haben wir bereits im Mai 2007 einen Appell an die Europäische Kommission gerichtet, bei der Überarbeitung der entsprechenden Richtlinien zur Mehrwertsteuer, die Belange der Familien angemessen zu berücksichtigen.

Zu den Kernforderungen gehört, dass die europäische Legislativinitiative zur Mehrwertsteuerrichtlinie die Förderung von Familien aktiv unterstützen soll. Auf keinen Fall sollte jedoch durch die Überarbeitung der geltenden Rechtsvorschriften zu ermäßigten Mehrwertsteuersätzen eine übliche Praxis der europäischen Nationalstaaten bei der Geltung der reduzierten Mehrwertsteuersätze, die familienfördernde Wirkung haben, gefährdet werden.

 

2) Vorschläge für die Anwendung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes

Für die Anwendung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes ist maßgeblich, dass sie dazu dient, sowohl der materiellen als auch kulturellen Armut von Kindern und Familien vorzubeugen, bzw. sie zu reduzieren. Nach der Studie der Europäischen Kommission wächst jedes fünfte Kind der Europäischen Union in Armut auf. Um Armut zu bekämpfen, ist die Anwendung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes nur ein kleiner Baustein und sicher nicht das effektivste Mittel, aber dennoch ein Beitrag, der bei vielen Familien ins Gewicht fällt.

Alle Entlastungsmöglichkeiten für das Haushaltsbudget der Familien sind hilfreich, denn gerade Mehrkindfamilien und Alleinerziehende sind in Europa von Armut bedroht.

In Deutschland gibt ein Haushalt mit mehreren Kindern bis zu 18% seines Haushaltseinkommens für Nahrungsmittel aus, ein Durchschnittshaushalt im Vergleich dazu nur 10%. An diesem Beispiel zeigt sich, dass Familien demnach stärker vom reduzierten Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel profitieren als andere Haushalte. Demnach ist es durchaus sinnvoll, die Liste der Produkte, die dem reduzierten Mehrwertsteuersatz unterliegen, um Kinderprodukte zu erweitern, die insbesondere Familien mit kleinen Kindern zu Gute kommen, wie z.B. Babyfläschchen und Kinderwagen.
Der Anteil der Mehrkindfamilien ist in Europa insgesamt gesunken und der Anteil der Alleinerziehenden steigt Für eine nachhaltige Strategie zum Wandel der demografischen Lage in Europa, muss die Situation der Familien insgesamt stärker in den Blick genommen werden.

Der Trend, in der Steuerpolitik weniger direkte Steuern zu erheben, dafür die öffentlichen Einnahmen über die indirekten Steuern zu sichern, trifft insbesondere Familien. Zur Familienförderung gehört in vielen europäischen Mitgliedsstaaten die Entlastung bei der Einkommenssteuer, wie z.B. in Deutschland und Frankreich. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, die Leistungen von Familien durch einen fairen Familienlastenausgleich bzw. direkte finanzielle Transferleistungen anzuerkennen. Erhöht man im Gegenzug die indirekten Steuern, verringert sich der Effekt für die Familien jedoch. Den Trend zur indirekten Besteuerung verfolgen wir mit großen Bedenken und fordern eine entsprechende Analyse, welche Auswirkungen dies für das Haushaltsbudget von Familien hat. Diese europaweite Analyse sollte spätestens 2010 im europäischen Jahr zur Armutsbekämpfung in Auftrag gegeben werden (Stellungnahme zur Frage 17 u. 18)

Wir setzen uns dafür ein, dass alle EU-Mitgliedsstaaten auch künftig das Recht und die Möglichkeit haben sollen, Familien durch die Anwendung von reduzierten Mehrwertsteuersätzen für bestimmte Dienstleistungen und Produkte, die zum Aufwachsen der Kinder hilfreich bzw. notwendig sind, zu unterstützen.

Wir befürworten insbesondere die Möglichkeit, dass im Bereich der arbeitsintensiven Dienstleistungen die häuslichen Pflegedienstleistungen, wie z.B. für Kinderbetreuung der ermäßigte Mehrwertsteuersatz Anwendung finden kann. Familien erhalten so mehr Spielraum und Wahlmöglichkeiten, wie sie ihre Kinder und die pflegebedürftigen Angehörige betreuen lassen wollen. Die Frist bis 2010 für diese Möglichkeit sollte für dieses Instrument aufgehoben und ihm Dauerhaftigkeit verliehen werden. Da diese arbeitsintensiven Dienstleistungen auf lokaler Ebene erbracht werden, liegt keine Wettbewerbsverzerrung für den europäischen Binnenmarkt vor. 

Viele Familien sind auf günstigen Wohnraum angewiesen, so unterstützen wir den Vorschlag der Kommission, dass auch weiterhin im Sektor des sozialen Wohnungsbaus der reduzierte Mehrwertsteuersatz Anwendung finden soll. Eine europaweite Definition für den sozialen Wohnungsbau zu finden, wäre ratsam. In vielen europäischen Ländern verzögert sich die Familiengründungsphase junger Paare nicht zuletzt auch durch die schwierige Wohnraumsituation, wie z.B. in Spanien und Italien. Angemessener und verfügbarer Wohnraum insbesondere für Familien mit geringem Einkommen gehört u.E. zur staatlichen Daseinsfürsorge. (Stellungnahme zu Frage 8)

Produkte und Güter, die für das Aufwachsen von Kindern unerlässlich sind, wie z.B. Kinderwindeln sollten in die Liste im Anhang III bzw. Anhang III+ und Anhang IV der Mehrwertsteuer-Richtlinie (2006/112/EG), verbleiben, bzw. in der künftigen Fassung der Richtlinie aufgenommen werden, um damit eine eindeutige rechtliche Grundlage auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft zu schaffen.

Gerade bei Babywindeln ist es offensichtlich, dass es sich um ein notwendiges Gut und nicht um einen Luxusartikel handelt. Nach einem Beispiel in Portugal zeigt sich, dass der Preis von Windeln nachhaltig über den reduzierten Mehrwertsteuersatz gesenkt werden konnte. Dieser Preisnachlass kommt Familien unmittelbar zu Gute.


Stellungnahme zu Frage 11)

So fordern wir:
Die Aufnahme folgender Produkte im Anhang der künftigen Richtlinie:

  • Babyfläschchen
  • Schnuller
  • Kinderwagen
  • Kindersitze für Fahrräder
  • Kinderfahrräder

Den Verbleib für folgende Gegenstände und Dienstleistungen in der Anhangsliste der künftigen Richtlinie:

a) Gegenstände

  • Kinderkleidung
  • Kinderschuhe
  • Kinderwindeln
  • Schuluniformen, Schultaschen
  • Kindersitze fürs KfZ
  • Helme zum Schutz von Fahrradfahren
  • Bilder-, Zeichen-, Malbücher für Kinder
  • Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen im Sportbereich, Theater, Zirkus, Jahrmärkte, Museen, Konzerte, Tierparks, Kinos, Ausstellungen sowie ähnliche kulturelle Ereignisse und Einrichtungen.
  • Lieferung, Bau, Renovierung und Umbau von Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus
  • Medizinische Vorsorgungsleitungen und zahnärztliche Leistungen

b) arbeitsintensive, bzw. soziale Dienstleistungen

  • Häusliche Pflege- und Betreuungsleistungen (z.B. Haushaltshilfen und Betreuung von Kindern sowie von älteren, kranken oder behinderten Personen)
  • Soziale Dienstleistungen im Bereich der Erziehung und damit zusammenhängenden Angelegenheiten
  • Babysitterdienste in Kinderspiel- und Fördereinrichtungen

Die Familien sind die vergessenen Leistungsträger in unseren Gesellschaften. Sie sind das soziale Kapital Europas und bedürfen der umfassenden Entlastung und Unterstützung, insbesondere auch im Bereich der Steuerpolitik.

Berlin, 08.05.2008

Elisabeth Bußmann, Präsidentin der FAFCE
Barbara Fiala, Generalsekretärin der FAFCE



Mitglieder sind: Deutschland: Familienbund der Katholiken (FdK); Frankreich: Confédération Nationale des Associations Familiales Catholiques (CNAFC); Irland: Family Solidarity; Italien: Forum delle associazioni familiari (Forum); Österreich: Katholischer Familienverband Österreichs (KFÖ); Slowakei: Hnutie Krestanskych Rodin na Slovensku; Südtirol: Katholischer Familienverband Südtirol (KFS); Ungarn: Magyar Kathoikus Csaladesyesület; Tschechische Republik: Assoziation der Familienzentren (ACER); assoziierte Mitgliedsorganisationen: Spanien: Foro Espanol de la Familia; Portugal Associacao Familias (AFP); Kroatien: Office for Family Catholic Bishop Conference; Polen: Familiensektion Klub Inteligencji Katholickiej (KIK) und Association of Family 3+; Litauen: Vilnius Archdiocese Family Center; Malta: Cana Movement; UK: Marriage Care.

Siehe dazu die Stellungnahme der FAFCE zur Konsultation BEPA-Diskussionspapier „Die soziale Wirklichkeit in Europa“ bzw. zur Kommissionsmitteilung „Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität, eine neue gesellschaftliche Vision für das Europa des 21. Jh.“ KOM(2007)726.

Der Appell wurde gemeinsam mit der Präsidentin der Intergroup on familiy and protection of childhood, Maria Panayotopolous-Cassiotou, MdEP am internationalen Tag der Familie 15. Mai 2007 im Europäischen Parlament präsentiert. Beteiligt waren die Confederation of Familiy Organisations in the European Union (COFACE), Eurochild, European Delegation of the World Movement of Mothers (MMMEurope), European Federation of Unpaid Parents and Careeres at Home (FEFAF), European Large Family Confederation (ELFAC), European Parents Association (EPA), European Region of the World Family Organizsation (E-WFO), Institute for Family Policies European Network, Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Familienorganisationen (Deutschland), Federacion Espanola de Familias Numerosas (Spanien), Gezinbond (Belgien), Institute of Advanced Familiy Studies of the International University of Catalonia, (Spanien), Latvijas Daudzbernu Gimenu Bierdribu Apvieniba (Lettland), Verband der Alleinerziehenden Mütter und Väter (Deutschland).

Siehe Zusammenstellung der europäischen Praxis. DOK/1829/2006 „Die Mehrwertsteuersätze in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft“.

„Child Poverty and well-being in the EU – Current Status and Way Forward“, Januar 2008. 16 % der EU Bürger sind einem Armutsrisiko ausgesetzt, 8% sind armutsgefährdet. Unter den 78 Millionen von Armut bedrohten Europäiern sind 19. Millionen Kinder. Als arm gelten Familien, die weniger als 60% des mittleren Einkommens in ihrem Land zur Verfügung haben. Für eine deutsche Familie mit zwei Kindern liegt die Grenze bei 1596 Euro monatlich.

Ein Forschungsteam für Wirtschaftsstatistik der Schweizer Universität Fribourg hat im Mai 2008 für Deutschland ermittelt, dass Mehrkindfamilien von der Inflation am stärksten betroffen sind, insbesondere im Vergleich zu Kinderlosen. Ein Haushalt mit mehreren Kindern gibt bis zu 18% seines Haushaltseinkommens für Nahrungsmittel aus, ein Durchschnittshaushalt im Vergleich dazu 10%. Die Teuerung bei Nahrungsmitteln liegt in Deutschland im Moment bei 8,2%. Vergleichszahlen bei Aufwendungen für den Verkehr ergeben ein ähnliches Bild. Die Mehrkindfamilie gibt 17% ihres Haushaltseinkommens dafür aus, ein Durchschnittshaushalt 4,6%; Quelle: Süddeutsche Zeitung, 2. Mai 2008.

A.a.O..

Dieser Trend ist insbesondere in Deutschland erforscht worden, siehe Expertise für das Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen:  Prof. Dr. Hans Bertram „Die Mehrkinderfamilie in Deutschland. Zur demographischen Bedeutung der Familie mit drei und mehr Kindern und zu ihrer ökonomischen Situation“, Februar 2008 im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Siehe auch die Studie „Child Poverty and well-being in the EU – Current Status and Way Forward“, der Europäischen Kommission, Januar 2008: 13% der Kinder in der EU leben bei alleinerziehenden Eltern, 1/3 der Kinder ist von Armut bedroht, S. 22ff., eines von fünf Kindern in Europa lebt in einer Familie mit zwei Geschwistern. Insbesondere in den südlichen EU-Mitgliedsstaaten ist die Zahl der Mehrkindfamilien stark zurückgegangen, siehe S. 24 u. 155.

Siehe Studie im Auftrag der EU-Kommission 6503 DG TAXUD: Study on reduced VAT applied to goods and services in the Member States on the European Union, final report, 21.06.2007, Copenhagen Economics, S. 4.

Im Konsultationspapier TAXUD/D1 /D/24232 identisch mit Anhang 1,3 und 4.

2005 wurde in Portugal der Mehrwertsteuersatz für Windeln von 21% auf 5% gesenkt. Nach der Marktforschung der Firma AC Nielsen konnte bestätigt werden, dass der Preis dauerhaft niedrig blieb, ohne, dass es zu einer Wettbewerbsverzerrung gekommen wäre. Preis betrug 2004 für 100 Windeln 20,80€ in den Jahren 2005-2006 nur 16,90€, Beispiel siehe Stellungnahme von Edana „Comments regarding the review of existing legislation on VAT reduced rates“, S. 3.

Siehe dazu auch den Beschluss des Europäischen Parlaments vom 11. Dezember 2007. Das Europäische Parlament hat sich mit großer Mehrheit für die Einführung niedriger Mehrwertsteuersätze aus sozialen Gründen eingesetzt und befürwortet den ermäßigten Mehrwertsteuersatz etwa für soziale Tätigkeiten wie Pflegedienstleistungen.

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