Referentenentwurf zum Haushaltsbegleitgesetz

· Stellungnahmen

Stellungnahme des Familienbundes der Katholiken zum Referentenentwurf für einen Beitrag zum Haushaltsbegleitgesetz betreffend das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)

 

I. Allgemeine Erwägungen

Der Familienbund der Katholiken anerkennt grundsätzlich die Bemühungen der Bundesregierung um eine Konsolidierung des Bundeshaushaltes. Solide Staatsfinanzen sind eine notwendige Voraussetzung für eine generationengerechte Politik. Die Sparanstrengungen sind allerdings nur insoweit vertretbar, als sie den Kriterien von Zukunftsorientiertheit und Gerechtigkeit nicht widersprechen.

Der Familienbund hält Einsparungen im Bereich der Familienleistungen generell für zukunftswidrig. Familien sichern nicht nur den Fortbestand unseres Gemeinwesens, sie entlasten den Staat auch durch die in der Familie gelebte Solidarität. Familien legen mit der Erziehung der Kinder den Grundstein zur Entfaltung verantwortungsvoller Menschen, die unser Land in Zukunft tragen. Es ist daher wie im Falle von Bildung und Forschung geboten, auch in der Förderung von Familien jene Zukunftsaufgabe zu sehen, die selbst in einer dramatischen Krise Priorität haben muss.

Das Sparpaket der Bundesregierung genügt sowohl im Ganzen als auch den Bereich der Familienleistungen betreffend nicht dem Maßstab sozialer Gerechtigkeit. Die sozial Schwächsten werden am stärksten belastet. So sollen Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach dem SGB II nicht nur den Großteil der familienpolitischen Einsparungen tragen müssen, sondern darüber hinaus auch die Beiträge zur Rentenversicherung sowie den befristeten Zuschlag nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld I verlieren.

Deutlich ablesbar ist die soziale Unausgewogenheit auch anhand der geplanten Einsparungen des Bundes im Bereich der Änderungen des BEEG. Vom gesamten Einsparvolumen in Höhe von 595 Mio. Euro müssen Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach dem SGB II durch den Wegfall der Anrechnungsfreiheit 440 Mio. Euro erbringen, das sind nahezu 75 Prozent. Des Weiteren sollen Einsparvolumina in Höhe von 155 Mio. Euro teilweise durch geringfügig entlohnte Beschäftigte erbracht werden, indem ihre pauschal besteuerten Einnahmen nicht mehr bei der Elterngeldberechnung berücksichtigt werden.

Soll jungen Menschen das für die Familiengründung notwendige Vertrauen in eine verlässliche Familienpolitik nicht beeinträchtigt werden, ist eine Abkehr vom Ansatz, den Bundeshaushalt mittels einer Kürzung von Familienleistungen konsolidieren zu wollen, unumgänglich. Der Familienbund ist der Überzeugung, dass hinreichende Alternativen für ein zukunftsorientiertes und sozial gerechtes Sparen im Bundeshaushalt vorhanden sind, die sogar einen finanziellen Spielraum für die Umsetzung der im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellten Verbesserungen für Familien eröffnen könnten.

 

II. Zu den Regelungen im Einzelnen

 

1. Absenkung der Ersatzquote von 67 Prozent auf 65 Prozent ab einem zu berücksichtigenden Einkommen von 1.200 Euro

Nr. 1. b) (§ 2 Absatz 2 Satz 2 BEEG n.F.)

Der Familienbund kritisiert Einsparungen im Bereich der Familienleistungen generell als einer verlässlichen und zukunftsorientierten Familienpolitik zuwider laufend. Bezogen auf das Gesamtpaket der geplanten Änderungen im BEEG erscheint die Absenkung der Einkommensersatzquote von 67 Prozent auf 65 Prozent ab einem zu berücksichtigenden Einkommen von 1.200 Euro unter dem Gesichtspunkt der sozialen Ausgewogenheit gleichwohl als vertretbar. Die Absenkung ist vergleichsweise moderat und betrifft nicht die untersten Einkommensbereiche. Mit der Pufferregelung einer Absenkung um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, die das maßgebliche Einkommen den Betrag von 1.200 Euro überschreitet, wird ein gleitendes Abschmelzen sicher gestellt. Dass sich die Abschmelzrate an die Zuwachsrate im Geringverdienerbereich anlehnt, ist rechtstechnisch als sinnvolle Lösung zu bewerten.

 

2. Nichtberücksichtigung von pauschal besteuerten Einnahmen bei der Elterngeldberechung

Nr. 1. c) bb) (§ 2 Absatz 7 Satz 2 BEEG n.F.)

Die geplante Nichtberücksichtigung von pauschal besteuerten Einnahmen bei der Elterngeldberechung wird abgelehnt. Betroffen sind geringfügig entlohnte Beschäftigte („Mini-Jobber“), die vor allem in einkommensschwachen Haushalten zu finden sind. Das Elterngeld einer Person, die einen 400-Euro-Minijob im Zweitbeschäftigungsverhältnis ausübt, kann sich im Vergleich zur aktuellen Rechtslage um bis zu 267 Euro verringern. Im Hinblick auf die Argumentation des Referentenentwurfs, Anreize zur Erwerbsbeteiligung setzen zu wollen, erscheint die Maßnahme kontraproduktiv.

Der Familienbund hat die Ankündigung des BMFSFJ vom 16. Juli 2010 zur Kenntnis genommen, im Zusammenhang mit der Neureglung der Regelsätze nach SGB II sowie der Erwerbstätigenfreibeträge Sonderregelungen für „Aufstocker“ und „Mini-Jobber“ zu schaffen. Gleichwohl wird empfohlen, von der geplanten Nichtberücksichtigung pauschal besteuerter Einnahmen im BEEG abzusehen.

 

3. Aufhebung der Anrechungsfreiheit des Elterngeldes bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II und nach § 6a BKGG (Kinderzuschlag)

Nr. 2 (§ 10 Absatz 5 BEEG n.F.)

Der Familienbund lehnt die geplante Aufhebung der Anrechnungsfreiheit des Elterngeldes für Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach dem SGB II sowie für Kinderzuschlagsberechtigte nachdrücklich ab.

 

Ordnungspolitische Erwägungen

Der Gesetzgeber hat das zum 1. Januar 2007 eingeführte Elterngeld mit zwei prägenden Elementen ausgestaltet. Zum einen wurde eine Lohnersatzleistung eingeführt, die entfallendes Erwerbseinkommen ausgleichen soll. Zum andern entschied sich der Gesetzgeber für die Schaffung eines lohnunabhängigen Mindestbetrages. Mit der Verankerung der Anrechungsfreiheit des Mindestbetrages in § 10 Absatz 1 BEEG wollte der Gesetzgeber sicher stellen, dass „das Elterngeld bei allen Familien auch tatsächlich zu einer Erhöhung des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens führt“ (vgl. BT Drs. 16/1889, S. 17). Den ordnungspolitischen Hintergrund, der eine Anrechnungsfreiheit rechtfertigt, hat der Gesetzgeber ebenfalls in die Gesetzesbegründung aufgenommen. Er hebt den anrechnungsfreien Mindestbetrag hervor „als Ausgleich für finanzielle Einschränkungen in den ersten zwölf oder 14 Lebensmonaten des Kindes und als Anerkennung für die Betreuungsleistung“ (vgl. BT Drs. 16/1889, S. 26). Damit hat der Gesetzgeber den Gedanken des ebenfalls anrechnungsfreien Bundeserziehungsgeldes bewusst fort geführt, „die Erziehungsleistung der Familie anzuerkennen“ (vgl. BT Drs. 10/3792, S. 13).

Bei der Anerkennung der Betreuungsleistung handelt es sich um die finanziell ausgedrückte Wertschätzung und Würdigung der Wahrnehmung einer elterlichen Verantwortlichkeit; der wirtschaftliche Bedarf der die Betreuungsleistung erbringenden Person spielt keine Rolle. Der Mindestbetrag kann seine Anerkennungsfunktion allerdings nur im Falle einer Nichtanrechnung tatsächlich nach außen hin entfalten, so dass sich bereits aus diesem Grund die Verrechnung mit der bedarfsabhängigen Transferleistung verbietet. Mit einem künftig angerechneten Mindestbetrag würden Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach dem SGB II aus der Anerkennungs- und Wertschätzungsfunktion des Mindestbetrages ausgeklammert. Aus der Sicht des Familienbundes wäre das ein verheerendes familienpolitisches Signal.

 

Materielle Folgenabwägungen

Neben den ordnungspolitischen Erwägungen sprechen aus Sicht des Familienbundes auch die materiellen Folgen gegen eine Aufhebung der Anrechnungsfreiheit. Der Referentenentwurf sieht den Bedarf des betreuenden Elternteils und des Kindes durch die Leistungen nach SGB II als gesichert an. Unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob diese Annahme tatsächlich zutreffend ist, berücksichtigt der Entwurf nicht die spezifische Bedeutung eines anrechnungsfreien Mindestbetrages für das erste Jahr nach der Geburt eines Kindes.

Die Geburt bringt eine erhebliche Änderung im Leben der Beteiligten mit sich. Die Umstellungsphase ist häufig mit vielfältigen Herausforderungen und Belastungen verbunden wie dem „Erlernen“ des Elternseins, einer besonderen Zuwendungsbedürftigkeit des Kindes sowie der Neuorganisation des Lebens- und Beziehungsalltags. Finanzielle Engpässe können unmittelbar in Überforderungssituationen münden und den Eindruck des Alleingelassenwerdens vermitteln.

Angesichts dieser Sondersituation geht es um die Gewährung eines finanziellen Freiraums, der Bezieherinnen und Beziehern von Leistungen nach dem SGB II in der auch für das Kindeswohl höchst sensiblen ersten Phase mehr Möglichkeiten bieten soll als die bloße Absicherung des existentiell Notwendigen. Letztlich wird damit auch ein Beitrag zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben geleistet, indem gerade sozial schwächeren Schwangeren eine nicht unerhebliche Hilfe für die schwierige Phase der Familiengründung in Aussicht gestellt wird (so bereits BT Drs. 10/3792, S. 13) .

Bei Anrechnung des Elterngeldes reduziert sich das verfügbare Haushaltseinkommen von Familien mit Bezug von Leistungen nach dem SGB II im ersten Jahr nach der Geburt um bis zu 3.600 Euro. Im Vergleich zur aktuellen Rechtslage hätten sie schätzungsweise bis zu 20 Prozent weniger Haushaltseinkommen zur Verfügung, Alleinerziehende sogar bis zu 30 Prozent. Kinderzuschlagsberechtigte Haushalte müssten Verluste von bis zu 140 Euro je Kind verkraften. In der Folge ist mit einem weiteren Anstieg der Armutsrisikoquote zu rechnen.

Familien mit Bezug von Leistungen nach dem SGB II erhielten nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) über den Zeitraum von zwei Jahren eine anrechnungsfreie Leistung in Höhe von 300 Euro monatlich, d.h. bis zu 7.200 Euro erstreckt über den Gesamtzeitraum. Aufgrund der verkürzten Bezugsdauer des Elterngeldes halbierten sich bereits ihre Ansprüche. Kommt es zusätzlich zu einer Anrechung auf Leistungen nach dem SGB II, verlieren die betreffenden Familien im Ergebnis vollständig ihre Ansprüche und werden so – entgegen der ursprünglichen Intention des Elterngeldgesetzgebers – zu den großen Verlierern der Elterngeldreform.

 

Arbeitsmarktpolitische Erwägungen

Die mit dem Entwurf beabsichtigte Beseitigung von Fehlanreizen im Hinblick auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit geht aus Sicht des Familienbundes ins Leere. Die Nichtaufnahme einer Erwerbsarbeit beruht in der Regel auf dem Fehlen von angemessen entlohnten familienverträglichen Arbeitsplätzen, nicht auf dem mangelnden Willen der Betroffenen. Das System der Grundsicherung für Arbeitssuchende entfaltet bereits von seinen Grundstrukturen her hinreichende Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.

 

Verfassungsrechtliche Erwägungen

Schließlich sprechen auch verfassungsrechtliche Gründe gegen eine Aufhebung der Anrechnungsfreiheit. Bereits bei der Einführung des Elterngeldes wurden aus der Rechtswissenschaft verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht (vgl. Seiler, BT-Familienausschuss Drs. 16(13)81g). Als tangiert wurde der allgemeine Gleichheitssatz des Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz gesehen, der die sachwidrige Ungleichbehandlung von Gleichem verbietet.

 

Im Wesentlichen lag den geäußerten Bedenken folgende Argumentation zugrunde:

Durch die Ausgestaltung des Elterngeldes mit einer Lohnersatzfunktion komme es zu einer Ungleichbehandlung verschiedener Eltern. Das Elterngeld beruhe jedoch anders als die Lohnersatzleistungen der Sozialversicherungen nicht auf durch lohnabhängige Beiträge erworbenen Anwartschaften, die einen späteren höheren Leistungsbezug als Äquivalent einer früheren größeren Eigenleistung rechtfertigen würden. Da die elterliche Erziehungsleistung qualitativ nicht bewertbar sei, scheide sie als rechtfertigendes Unterscheidungsmerkmal ebenfalls aus. Verstärkt durch die Wertentscheidung des Art. 6 GG müsse dem Staat jedes Kind gleichermaßen willkommen sein.

Bislang wird die Ungleichbehandlung dadurch begrenzt, dass alle Eltern ein Elterngeld erhalten – wenn auch in unterschiedlicher Höhe. Wird künftig selbst der anrechnungsfreie Mindestbetrag nicht mehr allen Eltern gewährt, erhalten die verfassungsrechtlichen Bedenken zusätzliches Gewicht.

 

 

Berlin, 26. Juli 2010
Familienbund der Katholiken, Markus Faßhauer

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